Nach dem “Referenzi“ oder „Unverhofft kommt oft“
Am 4. Dezember fand die Abstimmung über eine von Ministerpräsident Renzi auf den Weg gebrachte Verfassungsreform statt. Eine Verfassungsänderung wurde vom italienischen Volk abgelehnt.
Am 4. Dezember fand die Abstimmung über eine von Ministerpräsident Renzi auf den Weg gebrachte Verfassungsreform statt. Eine Verfassungsänderung wurde vom italienischen Volk abgelehnt.
Das „Nein“ der Italiener zur Verfassungsreform durch das gestrige Referendum verunsichert Anleger, die sich ohnehin auf ein politisch turbulentes Jahr in Europa einstellen, weiter.
Die Auswirkungen des Brexit Referendum auf Europa sind nach wie vor unklar – und schon zeichnen sich weitere einschneidende Ereignisse am politischen Horizont ab.
Darauf macht Hermann Wonnebauer, Vorstandsmitglied der Zürcher Kantonalbank Österreich AG, aufmerksam. Denn die Märkte beruhigen sich oft rascher als erwartet und Staatsanleihen können in der derzeitigen – und lang anhaltenden – Niedrigzinsphase nicht mit Wertpapieren börsennotierter Unternehmen konkurrieren. Um Erfolg bei der Geldanlage zu haben ist es wichtig, das langfristige Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Keineswegs sollte man sich von den kurzen Beinen politischer Börsen nervös machen lassen, rät der Experte der Privatbank.
Wenngleich der Ausgang der Brexit-Abstimmung wohl jeden Beobachter überrascht hat und das Wirtschaftswachstum in Europa dadurch nicht gerade befeuert wird, sollte man Anlageentscheidungen nicht im Licht von Ereignissen wie diesem treffen. „Natürlich können Abstimmungen, Wahlen oder andere politische Begebenheiten heftige Reaktionen an den Finanzmärkten hervorrufen. Die Dauer dieser Krisen ist aber meist überschaubar und die Börsen erholen sich rasch wieder“, erklärt Wonnebauer. Es ist daher wenig ratsam, sich in einem ersten Schockmoment zu Panikkäufen oder –verkäufen verleiten zu lassen. „Politische Börsen haben kurze Beine“, so der Experte der Zürcher Kantonalbank Österreich AG.
Damit Anleger nachhaltig Erfolg haben, braucht es einen langfristigen Plan, der nicht bei der ersten Schlechtwetterfront an den Börsen über den Haufen geworfen wird. „Es geht stets darum, sein strategisches Ziel im Kopf zu haben und dieses zu verfolgen“, sagt Wonnebauer. Themen wie das Brexit-Referendum seien zwar zu beachten, im Rahmen einer langfristigen Anlagestrategie aber nicht entscheidend. „Denn zunächst kam der Brexit, kurz darauf die spanischen Parlamentswahlen und im Herbst wird es wohl auch wieder Ereignisse geben, die den Börsen kurzfristig zusetzen können“, relativiert Wonnebauer die Bedeutung einzelner politischer Vorgänge für die Märkte. Viel mehr mache den Anlegern die lang anhaltende Niedrigzinsphase zu schaffen. Wer bisher etwa in Staatsanleihen investiert hat, die nun auslaufen, hat Kapital auf dem Konto, das wieder zu veranlagen ist. „Bei Minuszinsen sind Staatsanleihen derzeit aber sogar ein Verlustgeschäft. So gesehen ist es noch besser, das Geld auf dem Konto liegen zu lassen, als es verlustbringend zu investieren. Eigentlich gibt es, gerade für vermögende Privatpersonen, keine echte Alternative zu Aktien“, macht Wonnebauer deutlich. Durchhaltevermögen und die richtige, langfristige Strategie sind dabei wesentliche Erfolgsfaktoren. Das zeigt auch die langfristige Bilanz des MSCI Europe. Denn trotz zwischenzeitlicher Rückgänge im Jahresverlauf von durchschnittlich 16 Prozent waren die Gesamtjahres-Erträge in 28 von 36 Jahren im Plus.
Brüssel ist bestürzt über die Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen. Kaum ein Vertreter der EU-Institutionen, der seine bittere Enttäuschung über das Votum verhehlte.
Nun dauert es nicht mehr lange, bis heute Nacht das lang ersehnte Ergebnis des EU-Referendums in Großbritannien bekannt gegeben wird. Da die Volksabstimmung in den letzten Wochen an den Märkten ein großes Thema war und bei vielen Menschen große Emotionen auslösen und auch die politische Landschaft in den kommenden Monaten prägen wird, wird es vermutlich auch große Auswirkungen auf das Anlegerverhalten und ihre Positionierung haben – unabhängig vom Ergebnis. Außerdem wird es auch endlich wieder die Möglichkeit geben, über etwas anderes als die Risiken eines Brexits nachzudenken, zu sprechen und zu schreiben. Beispielsweise eine Analyse des globalen Wachstumsumfelds und der Aussichten auf eine zunehmende Gewinndynamik sowie die Überlegung, ob Kapitalerhalt, die Suche nach Rendite oder die schnelle Ergreifung von Renditechancen das nächste Investmentthema an den globalen Märkten sein werden.
Auch wenn es inspirierend sein wird, sich mit anderen Themen zu befassen, kann man sich kaum vorstellen, dass die Politik komplett vom Anlegerradar verschwindet. Andere Teile des europäischen Politik-Puzzles werden nach wie vor nicht an ihrem Platz sein, die politischen Risiken in einigen wichtigen Schwellenländern werden andauern und ein außergewöhnlicher US-Wahlzyklus steht ebenfalls vor der Tür.
Momentan geht es aber vor allem darum, ob am Tag nach der Brexit-Abstimmung ein Gefühl von Stabilität einkehren wird oder nicht. Das einzige Szenario, das für dieses Gefühl sorgen kann, ist vermutlich ein überzeugendes Ergebnis zugunsten eines Verbleibs in der EU, bei dem der Anteil der Befürworter einer EU-Mitgliedschaft insgesamt bei oder über 55% liegt. In einem solchen Szenario dürften sich die politischen Folgen wahrscheinlich auf die politische Landschaft in Großbritannien begrenzen, in der die Befürworter eines Brexits die Gelegenheit ergreifen und neue Karrierewege einschlagen dürften. In Bezug auf die britische Regierung, ihre Politik und ihre Beziehung zur restlichen EU wäre dieses Ergebnis ein Vertrauensbeweis und würde die Fortsetzung des aktuellen Ansatzes stark unterstützen.
Die daraus entstehende Stabilität würde die Anleger, den britischen Haushalt und die Unternehmen aufatmen lassen und sollte risikobehaftete Vermögenswerte begünstigen, da viele Anleger einige ihrer vorsichtigen Positionen auflösen würden. Außerdem würde sich vermutlich der Wachstumsausblick in Großbritannien aufhellen, da die jüngste Serie enttäuschender britischer Daten wahrscheinlich Rückenwind bekäme, da die Kauflaune der britischen Verbraucher steigen würde und britische Unternehmen zunehmend bereit wären, zu investieren und neue Mitarbeiter einzustellen, wenn sich die dunkle Unsicherheitswolke über der Zukunft Großbritanniens verzogen hätte.
Diese Wolke wird sich vermutlich nicht komplett verziehen, wenn die EU-Befürworter nur knapp gewinnen. Auch wenn das Endergebnis von den EU-Gegnern nicht angefochten würde, ist die Wahrscheinlichkeit bei einem solchen Szenario doch recht hoch, dass das Brexit-Thema relativ schnell wieder auf der politischen Bühne auftauchen wird. Die aktuelle britische Regierung könnte kaum einen überzeugenden Sieg deklarieren, und einige politische „Kompromisse“ in Richtung Brexit-Lager würden von Premierminister Cameron und seinen Anhängern eventuell als politisch notwendig erachtet werden. Trotzdem wäre ein tatsächlicher Austritt aus der EU in naher Zukunft erst einmal vom Tisch. Deshalb würden die Märkte vermutlich nicht komplett einbrechen, aber eine Erleichterungsrally bei risikobehafteten Vermögenswerten würde wahrscheinlich ausbleiben und die schwache Wirtschaftsdynamik in Großbritannien dürfte sich fortsetzen.
Und dann gibt es noch den Brexit. Es wäre anders als bei der Lehmann-Pleite oder bei einem Grexit, aber es käme sicherlich zu einem extremen politischen Schock mit unklaren, schleichenden politischen Ansteckungsrisiken sowohl innerhalb Großbritanniens (Wird es nach der Ankündigung des nächsten schottischen Unabhängigkeitsreferendums überleben?) als auch innerhalb der restlichen EU (Werden auch Wähler in anderen EU-Ländern ihre Stimme für eine Exit-Strategie erheben?). Das Zusammenspiel der politischen Notfallreaktionen und klare Zeichen für ein Engagement der Regierungschefs in vielen europäischen Hauptstädten, Geschlossenheit zu signalisieren, wären maßgeblich dafür, inwieweit die anfänglichen negativen Auswirkungen auf die Märkte abgefedert würden. Aber auch wenn hier alles glatt läuft, würden die Märkte trotzdem das politische Risiko in der Region neu bewerten und risikobehaftete Vermögenswerte auf Talfahrt schicken. Die Rückkoppelungsschleifen dieser politischen und marktbezogenen Dynamik in die Realwirtschaft wären ebenfalls so negativ, dass sie eine britische Rezession in Aussicht stellen würden und negative Auswirkungen auf den Wachstumsausblick der Eurozone hätten.
Gleichzeitig würde es aber nicht automatisch einen Kurzschluss im globalen Finanzsystem auslösen oder massive Abschreibungen in den Bankbilanzen verursachen. Man darf auf keinen Fall davon ausgehen, dass ein Brexit automatisch zu einer globalen Rezession führen wird. Und falls er es doch täte (hierfür gibt es natürlich keine Garantie), könnte es auch passieren, dass nach einer Phase mit großer Risikoaversion – in Kombination mit einer bereits vorsichtigen, auf Barbeständen sitzenden Anlegergemeinde – allmählich interessante konträre Anlagechancen entstehen. Die notorischen Stimmungsschwankungen von „Mr. Market“ könnten im Nachgang eines Brexits extrem ausarten. Aber sobald klar wird, dass die Weltwirtschaft nicht in ein schwarzes Loch gefallen ist, könnten risikobehaftete Vermögenswerte in der zweiten Jahreshälfte locker beeindruckende Wiederanstiege verzeichnen.
Morgen werden wir das Ergebnis kennen, aber es kann durchaus passieren, dass aus Anlegersicht erst dann die harte Arbeit beginnt. Das Risiko erhöhen, aber wann und wie – das könnte eine Überlegung in mehreren Szenarien sein. Aber auch abwarten oder sich defensiver aufstellen ist denkbar. Insbesondere, wenn uns allmählich bewusst wird, dass das Brexit-Referendum nicht die einzige Kraft im Universum war, die unsere Zukunft bestimmt. Viel Glück beim Verdauen der Geschehnisse und eine gute Reise ans nächste Ziel.
Die deutschen Mittelständler lassen sich die Laune durch konjunkturelle Risiken wie das anstehende Brexit-Referendum nicht verderben, wie das aktuelle KfW-ifo-Mittelstandsbarometer belegt.
Die Diskussion über einen Brexit lenkt die Aufmerksamkeit unweigerlich auf die Leistungsbilanz Großbritanniens. Im Dienstleistungsbereich, insbesondere bei den Finanzdienstleistungen, wird ein Überschuss verzeichnet, der Warenhandel ist jedoch negativ. Großbritannien importiert mehr als es exportiert.
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