Viele lukrative Felder werden vernachlässigt, echte Disruption ist selten. Dagegen sind andere Geschäftsmodelle trotz begrenzten Ertragspotenzials schon überbesetzt. Allerdings steht der Branche eine zweite Welle der InsurTech-Bewegung mit erfolgsversprechenderen Ansätzen bevor.
Wer kennt Zhong An? Nicht allzu viele Europäer dürften hier die Hand heben. Dabei ist die Rede von einem Riesen: Mehr als 450 Millionen Kunden gewann der Online-Versicherer aus Shanghai nach eigenen Angaben, seit er 2013 startete. Bestens ausgestattet mit umgerechnet 930 Millionen Dollar Investorengeld ist das InsurTech bereit zum Sprung von China in den Weltmarkt. An einem einzigen Tag im November 2016 verkaufte der Low-Cost-Anbieter 210 Millionen Policen – mehr als mancher Traditionsversicherer in einem Jahrzehnt.
Mächtige Investoren von Ping An über Alibaba bis hin zu Tencent stehen hinter Zhong An, der Börsengang ist bereits geplant. Zudem kopiert Zhong An die erfolgreiche Strategie von Amazon: Wie Amazon Web Services weltweit führende Cloud-Lösungen anbietet, vermarktet Zhong An Technologies spezifische digitale Versicherungslösungen. Ein Geschäftsmodell, das sich einfacher internationalisieren lässt als der Versicherungsvertrieb.
Das Rennen um den weltweiten Versicherungsmarkt scheint eröffnet. InsurTechs greifen an mit IT-Know-how entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von Angebot über Vertrieb bis zum Betrieb.
Zweite Welle mit mehr Expertise
Die Gemeinschaftsstudie kommt zum Ergebnis, dass sich die Spreu vom Weizen trennen wird. Eine Konsolidierung steht bevor. Gerade in bereits überbesetzten Geschäftsfeldern, die häufig in den Bereichen Angebot und Vertrieb anzutreffen sind, scheint eine Bereinigung unvermeidlich.
Die Aussicht: „Eine zweite Welle erheblich besser aufgestellter InsurTechs wird kommen – mit mehr Branchenwissen und intelligenteren Ansätzen“, sagt Nikolai Dördrechter. Er rechnet damit, dass gerade europäische InsurTechs in vorhandene Lücken stoßen werden.
Eine kritische Rolle spielen die Investoren. Zögern der Geldgeber sei bereits spürbar, wenn zweistellige Millionenbeträge aufgerufen werden. Solche Nagelproben stehen den meisten InsurTechs noch bevor – und sie verändern das Auftreten.
Um zu einer realistischen Einschätzung der Chancen und Risiken zu kommen, haben die Studienautoren 19 Geschäftssegmente in Marktgröße und Erfolgsaussichten bewertet – und mit der Aktivität der InsurTechs verglichen.
„Es zeigt sich ein deutliches Ungleichgewicht zwischen investiertem Wagniskapital und vorhandenem Potenzial“, sagt Kottmann. Auch mit Blick auf den europäischen Markt würden aktuell attraktive Chancen liegengelassen.
„Besonders stark sind europäische InsurTechs beim Angebot von situativen und Community-basierten Produkten – dabei sind beide Felder nicht sonderlich gewinnträchtig.“ Das ebenfalls in Europa beliebte Modell der Preisvergleichswebseiten besitze zwar mittlere Attraktivität, sei aber mit Platzhirschen wie Check 24 zumindest in Deutschland schon besetzt.
Im Versicherungsbetrieb wäre viel zu holen
Mehr Hoffnung auf nachhaltigen Erfolg machen die Experten jenen Start-ups, die den Betrieb digitalisieren. „Dort finden sich viele attraktive Chancen“, sagt Kottmann und verweist auf Technologien, die den Vertrieb unterstützen („Digital Sales Enabling“), die Schadensabwickung erleichtern („Claims Management“) oder versicherungstechnische Kernprozesse optimieren („Underwriting“).
Während zwei Drittel des weltweiten Prämienpotenzials in den USA und Westeuropa schlummern, finden die InsurTechs nach der Analyse erst selten den Weg über Landesgrenzen.
„Viele InsurTechs sind noch reine Länderspieler. Die Aktivitäten beginnen sinnvollerweise dort, wo die Gründer die lokalen Gegebenheiten und die Regulierung kennen, um sich nicht zu verzetteln“, sagt Dördrechter. „Der Versicherungsmarkt ist zudem so groß, dass ein InsurTech auch in einer Nische zu einem Erfolg werden kann.“ (O.W./ P D)
Die vollständige, globale Studie „InsurTech caught on the Radar – Hype or the next Frontier?“ steht auf der Oliver Wyman-Website und der Policen Direkt-Website zum Download bereit.