Die Lebensversicherungsbranche ist von vielfältigen Faktoren abhängig, die die Leistungsfähigkeit und Stabilität der Versicherer beeinflussen. Eine dieser Größen ist der sogenannte Rechnungszins, der für die Berechnung der Deckungsrückstellungen entscheidend ist. In den letzten Jahren hat die andauernde Niedrigzinsphase die Versicherungsbranche vor große Herausforderungen gestellt. Doch nun gibt es erstmals seit den Neunzigern eine Trendwende: Der Rechnungszins wird zum 1. Januar 2025 von 0,25 Prozent auf ein Prozent erhöht. Dieser Artikel beleuchtet die Gründe für eine solche Zinserhöhung, ihre konkreten Auswirkungen auf Lebensversicherungen und diskutiert, wie sich dies sowohl auf die Versicherer als auch auf die Kunden und Verbraucher auswirkt.
HINTERGRUND: DER RECHNUNGSZINS UND SEINE BEDEUTUNG
Der Rechnungszins ist eine zentrale Größe in der Lebensversicherung. Er gibt den garantierten Zinssatz an, mit dem Versicherer kalkulieren, um die künftigen Verpflichtungen aus den Lebensversicherungsverträgen zu erfüllen. Versicherer verwenden den Rechnungszins, um die Prämien, die von den Versicherten zu zahlen sind, sowie die Höhe der Rückstellungen, die sie für die Auszahlung der garantierten Leistungen bilden müssen, zu berechnen. Ein hoher Rechnungszins ermöglicht niedrigere Prämien, da Versicherer mit höheren Zinsgewinnen auf ihre Kapitalanlagen kalkulieren können. Umgekehrt führt ein niedriger Rechnungszins zu höheren Beiträgen oder geringeren garantierten Leistungen.
Versicherer hatten in der Vergangenheit Schwierigkeiten, die Garantien aus früheren Verträgen mit höheren Rechnungszinsen zu erwirtschaften, was zu einem Rückgang des Neugeschäfts in der klassischen Lebensversicherung führte. Die nun anstehende Erhöhung des Rechnungszinses könnte diesen Trend umkehren.
GRÜNDE FÜR DIE ZINSERHÖHUNG
Mehrere Faktoren rechtfertigen eine Erhöhung des Rechnungszinses. Der wichtigste Grund ist die jüngste Entwicklung der Zinslandschaft. Nach Jahren der Niedrigzinsen haben die Zentralbanken begonnen, die Leitzinsen wieder anzuheben, um der steigenden Inflation entgegenzuwirken. Diese geldpolitische Straffung führte bereits zu einem Anstieg der Renditen am Kapitalmarkt, insbesondere bei sicheren Staatsanleihen. Für Lebensversicherer, die traditionell in festverzinsliche Wertpapiere investieren, eröffnet dies wieder bessere Ertragschancen.
Ein weiterer Grund liegt in den verbesserten Aussichten auf höhere Kapitalerträge. Versicherer haben in den vergangenen Jahren zunehmend alternative Anlageklassen wie Immobilien, Infrastrukturprojekte und Aktien in ihre Portfolios aufgenommen, um der Zinsflaute zu begegnen. Mit einer stabileren Zinslandschaft könnte es möglich werden, den Rechnungszins an die verbesserten Ertragsaussichten anzupassen.
Darüber hinaus kann die Erhöhung des Rechnungszinses auch als Antwort auf den Wettbewerb mit anderen Vorsorgeprodukten gesehen werden. Gerade fondsgebundene Lebensversicherungen und andere kapitalmarktorientierte Vorsorgeprodukte haben in der Niedrigzinsphase Marktanteile gewonnen. Ein höherer Rechnungszins könnte die Attraktivität der klassischen Lebensversicherung wieder stärken.
KONKRETE AUSWIRKUNGEN AUF DIE LEBENSVERSICHERUNGEN
Die Erhöhung des Rechnungszinses hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Lebensversicherer. Ein höherer Rechnungszins würde es den Versicherern ermöglichen, attraktivere Garantieleistungen anzubieten, was die Nachfrage nach klassischen Lebensversicherungsprodukten steigern könnte. Es wäre denkbar, dass das Neugeschäft, welches in den letzten Jahren stark gelitten hat, wiederbelebt wird.
Zudem würden auch die Prämienkalkulationen angepasst werden. Höhere Zinserwartungen bedeuten, dass die Versicherer ihre Produkte günstiger anbieten könnten, da sie mit höheren Erträgen aus den Kapitalanlagen rechnen können. Dies fördert besonders die Attraktivität der Produkte für jüngere Versicherungsnehmer, die eine langfristige Altersvorsorge planen.
Allerdings gibt es auch mögliche negative Konsequenzen. Für bestehende Verträge, die mit einem niedrigen Rechnungszins abgeschlossen wurden, könnten Kunden auf die Idee kommen, diese zu kündigen oder in neue, höher verzinste Verträge zu wechseln. Dies kann bei Versicherern zu einem sogenannten „Stornoschock“ führen, da die garantierten Verpflichtungen aus den Altverträgen über den Kapitalanlagen liegen.
HERAUSFORDERUNGEN FÜR VERSICHERER
Die Erhöhung des Rechnungszinses stellt die Versicherer vor mehrere Herausforderungen. Erstens müssen sie sicherstellen, dass sie die in Aussicht gestellten Zinsgewinne auch tatsächlich erwirtschaften. Dies erhöht den Druck, höhere Risiken bei der Kapitalanlage einzugehen, was wiederum zu einer Erhöhung des unternehmerischen Risikos führt.
Zweitens müssen Versicherer ihre bestehenden Kundenbeziehungen pflegen, um massive Stornowellen zu vermeiden. Kunden könnten bestehende Verträge aufgeben, um von den besseren Konditionen neuer Verträge zu profitieren, was den Versicherern Liquiditätsprobleme bereiten würde.
EINFLUSS AUF KUNDEN UND VERBRAUCHER
Für Kunden hat die Erhöhung des Rechnungszinses grundsätzlich positive Implikationen. Sie profitieren von attraktiveren Angeboten im Bereich der klassischen Lebensversicherung, die wieder höhere Garantieleistungen versprechen.
Für Bestandskunden wird sich jedoch die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, alte Verträge zu behalten oder auf neue Angebote mit höheren Zinsgarantien umzusteigen. Dies könnte auch von den Storno- und Kündigungsbedingungen abhängen, die oft nachteilig für den Kunden sind. Außerdem müssen Verbraucher darauf achten, dass höhere Zinsversprechen nicht mit einem höheren Anlagerisiko einhergehen.
Es ist zu erwarten, dass das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensversicherung als sichere und verlässliche Altersvorsorge gestärkt wird, wenn die Branche wieder attraktive Garantien bieten kann. Gleichzeitig führt die steigende Transparenzanforderung dazu, dass Kunden ein besseres Verständnis für die Mechanismen und Risiken der Zinsgarantien entwickeln müssen.
PERSPEKTIVEN UND ZUKUNFTSAUSSICHTEN
Die Erhöhung des Rechnungszinses verhilft der Lebensversicherungsbranche zu einer Renaissance. In Zeiten steigender Zinsen und wachsender Unsicherheiten an den Kapitalmärkten gewinnen sichere Garantien wieder an Attraktivität. Versicherer, die es schaffen, die Zinserhöhung klug zu nutzen und gleichzeitig solide Ertragsstrategien zu verfolgen, werden sich als Gewinner eines neuen Zinszyklus positionieren.
NICOLE RODE