Die ersten 100 Tage von US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris waren vom unerwarteten Wahlsieg der Demokraten im US-Bundesstaat Georgia geprägt. Dieser hatte Biden vor seinem Einzug ins Oval Office eine äußerst willkommene Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses verschafft.
Zeitgleich befanden sich die täglichen COVID-19-Neuinfektions- und Todeszahlen auf dem höchsten Stand seit Ausbruch der Pandemie.
Bis zum 8. April unterzeichnete Joe Biden nach Angaben des Federal Register, das offizielle Amtsblatt der Bundesregierung der Vereinigten Staaten von Amerika, etwa 50 Durchführungsverordnungen – mehr als jeder seiner drei Amtsvorgänger in einem vergleichbaren Zeitraum.
Mit ihnen wurden einige Entscheidungen vom Amtsvorgänger Donald Trump unmittelbar rückgängig gemacht, wie etwa die Verfügungen zum Wiederbeitritt zum Pariser Klimaschutzabkommen und zum Widerruf des Austritts aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
American Rescue Plan Act
Auch in Sachen Gesetzgebung war Joe Biden äußerst aktiv: Sein erstes wichtiges Gesetz, das bereits vom US-Kongress verabschiedet wurde, war der American Rescue Plan Act für ein umfangreiches Konjunkturpaket über 1,9 Billionen US-Dollar.
Diese Mittel sollen zur Bekämpfung der Pandemie, zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes sowie für Direkthilfen an Privathaushalte verwendet werden, um einen raschen Konjunkturaufschwung zu gewährleisten. Doch auch die Impferfolge der letzten Monate sind beeindruckend.
Abgesehen davon, dass Biden unmittelbar nach seinem Amtsantritt Social-Distancing-Maßnahmen sowie eine allgemeine Maskenpflicht durchgesetzt hat, dürften in seinen ersten 100 Tagen im Oval Office 200 Millionen Impfdosen verabreicht worden sein – mehr als doppelt so viel wie ursprünglich geplant. Dank dieser beachtlichen Fortschritte konnten die Beschränkungen in Folge der Pandemie wieder rasch gelockert werden.
Positive Auswirkungen auf Mittelschichts-Konsum
Sowohl das Konjunkturpaket des 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten als auch die Impferfolge dürften sich positiv auf den Konsum der Mittelschicht auswirken. Die Konjunkturindikatoren sprechen bereits jetzt für eine rapide Wachstumsbeschleunigung im ersten Quartal.
Demzufolge erwarten wir für die USA ein Wachstum von rund sechs Prozent im Jahr 2021. Dies wäre die höchste Wachstumsrate seit den 1980er-Jahren. Die Erholung dürfte sich auch im Jahr 2022 fortsetzen, wenn auch langsamer. Damit dürften mehr Arbeitnehmer wieder den Einstieg in den US-Arbeitsmarkt finden.
Balanceakt zwischen Staatsausgaben, Steueränderungen und Geldpolitik
Neben den bereits genannten kurzfristigen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Panedmie kündigte US-Präsident Joe Biden ein ehrgeiziges Investitionsprogramm zur Modernisierung der US-Infrastruktur und Umstellung der Wirtschaft auf nachhaltige, klimafreundliche Technologien an.
Der American Jobs Plan sieht für die nächsten acht Jahre Investitionen in Höhe von 2,25 Billionen US-Dollar vor. Diese sollen in die Bereiche Transport, sauberes Wasser und erneuerbare Energien fließen und würden ihre Wirkung zeitverzögert entfalten.
Dann aber würden das Wachstumspotenzial und höchstwahrscheinlich auch die Produktivität der US-Wirtschaft langfristig profitieren.
Zur Finanzierung wird allerdings eine Erhöhung der Körperschaftssteuer auf möglicherweise 28 Prozent (von jetzt 21 Prozent) erforderlich sein. Die US-Wirtschaft wird diese Pläne genau verfolgen.
Der US-Aktienmarkt befasst sich bereits eingehend mit den Steuererhöhungsplänen Bidens und dürfte vor deren Umsetzung reagieren, sollte sich bei den Debatten im US-Kongress eine Mehrheit für eine solche Gesetzesänderung abzeichnen.
Zum Wohle der Gesamtwirtschaft
Die zweite Säule von Bidens langfristigen Investitionsplan wird sich auf Ausgaben in den Bereichen Bildung und Kinderbetreuung konzentrieren und wird über höhere Einkommens- und Kapitalertragssteuern, die für wohlhabende Haushalte gilt, finanziert werden.
US-Finanzministerin Janet Yellen dürfte Beobachtern zufolge die Gewissheit geben, dass die politischen Maßnahmen sowie die zusätzlichen Ausgaben sinnvoll und zum Wohle der Gesamtwirtschaft eingesetzt werden dürften. Auch ihre langjährige Erfahrung als international renommierte Ökonomin und politische Entscheidungsträgerin wird zu einer besseren globalen Koordination beitragen.
Fed könnte Zinsen vor dem Ende von Joe Bidens Amtszeit wieder erhöhen
Nachdem die guten Nachrichten in den ersten 100 Tagen die schlechten überwogen haben, sind Bedenken aufgekommen, dass Bidens fiskalpolitische Großzügigkeit zu einer Überhitzung der US-Wirtschaft und einem Inflationsanstieg führen könnte.
US-Notenbankchef Powell hat sich darum bemüht, die nervösen Märkte mit seiner Zusicherung zu beruhigen, dass die US-Notenbank Fed unabhängig und ihrem Doppelmandat verpflichtet bleiben wird.
Nach seiner Einschätzung dürfte es einige Zeit brauchen, bis sich höhere Inflation und Vollbeschäftigung einstellen. Möglicherweise länger als die vier Jahre von Bidens Präsidentschaft? Vermutlich nicht!
Wenn sich der Aufschwung weiter so kräftig entwickelt und neue Virusmutationen die US-Wirtschaft nicht wieder belasten, könnte die Fed die Zinsen vor dem Ende von Bidens Amtszeit erhöhen.
(Vontobel Asset Management)