Wirtschaft

Kapitalmärkte in der Selbstfindungsphase

Aktuelle Marktsituation wird unter anderem durch die sich wandelnde Einschätzung zur langfristigen Inflation und zu potenziellen Reaktionen der Notenbanken erschwert

Bislang letztendlich bei Aktien völlig normale Korrektur

Raus aus Growth, rein in Value, sieht Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager der Vermögensmanagement Euroswitch, in der derzeitigen Marktphase als nicht ausreichend differenziert: „Unbestritten gibt es attraktive klassische ‚Value‘-Unternehmen, aber auch im ‚Growth‘-Bereich gibt es nach Kursrückschlägen von teilweise mehr als 50 Prozent Opportunitäten.“

Ohnehin stelle sich nicht mehr die Frage nach „Value“ oder „Growth“, sondern welches unternehmerische Geschäftsmodell von den unveränderten langfristigen Trends am besten profitieren könne.

„So benötigt man zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung natürlich innovative Softwareschmieden, aber eben auch Kupferminen und Chemieunternehmen, die die Wandlungsprozesse durch Basisprodukte erst ermöglichen“, erläutert der Finanzexperte.

Inflationsentwicklung pandemiebedingt vor allem temporär

Die aktuelle Marktsituation wird laut Böckelmann unter anderem durch die sich wandelnde Einschätzung zur langfristigen Inflation und zu potenziellen Reaktionen der Notenbanken erschwert.

„Letztere schienen zuletzt zulange darauf zu beharren, die Inflationsentwicklung sei pandemiebedingt vor allem temporär. Ferner erfahren zahlreiche Politiker rund um den Globus einen gewissen Realitätsschock – sei es Joe Biden in den USA mit seinem zu scheitern drohenden Infrastrukturpaketen oder in der EU mit den Kosten der Energiewende.

Jüngste Preissteigerungen führen insbesondere in niedrigen Einkommenssegmenten zu Belastungen und somit zu Druck auf eine Politik, die ohnehin schon seit Jahren die Notenbanken politisiert. Unterm Strich steigt die Gefahr, dass die Notenbanken nach gar keinem oder späten Reagieren jetzt Überreagieren“, befürchtet der Portfoliomanager.

Das Ende der „Großen Moderation“

Die Welt muss sich erst an das vermeintliche Ende der sogenannten „Großen Moderation“ gewöhnen – also der mehrjährigen Phase von grenzenloser kostenfreier Liquiditätsversorgung, teilweise begleitet von fiskalpolitischen Stützungsprogrammen. In der Folge sind auch die aus Umfragen resultierenden makroökonomischen Indikatoren der „realen“ Wirtschaft wie Einkaufmanagerindizes sehr volatil.

„Die Wechselwirkungen aus sich ändernder Geldpolitik, Fiskalpolitik, Geopolitik sind auch für die Unternehmen selbst nur schwer abzuschätzen. Insofern ist auch der vorherrschende Gewinnoptimismus, der sich in den Kurszielprognosen für viele Aktienmarktsegmente ablesen lässt, zu hinterfragen“, warnt Böckelmann.

Doch der Experte beruhigt auch: „Der Monat Januar hat gezeigt, dass ein ‚weiter so – die Flut hebt alle Boote‘ wie in den letzten Jahren unwahrscheinlicher geworden ist. Gegebene Ungewissheiten aber auch zahlreiche neue Marktteilnehmer haben die Schwankungsbreite an den Märkten erhöht.

Aber diese jetzt höheren Schwankungen sind eigentlich nur normal – vielmehr haben die Sondereffekte der ‚Großen Moderation‘ diese über Jahre niedrig gehalten. Bislang sehen wir also bei Aktien eine völlig normale Korrektur und nicht auszuschließende Übertreibungen werden zu zahlreichen Opportunitäten führen.“

(Euroswitch)

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