Der Eurostoxx 50 verzeichnet ein Plus von 20 %, beim S&P 500 sind es knapp 15 %, die Risikoprämien für Unternehmensanleihen liegen wieder auf ihren Niveaus vom April und langfristige Zinsen sind deutlich gefallen … Seit Ende September haben die Anleger alle Register gezogen, denn an den Märkten hat sich wieder Optimismus breit gemacht.
Dieser folgte auf den übertriebenen Pessimismus zu Beginn des Herbstes und ist seitdem durch die rückläufigen US-Inflationszahlen und die Aussicht auf weniger starke Zinsanhebungen durch die US-Notenbank (Fed) gewachsen.
Aktienindizes legen zu – trotz gleichbleibender Informationsbasis
Besagter Optimismus könnte sich jetzt jedoch in wenig rationale Selbstgefälligkeit verwandeln. Das zeigen die Marktbewegungen der vergangenen Woche. Nach der Rede von Jerome Powell legten die Aktienindizes, vor allem die amerikanischen, kräftig zu, und das, obwohl der Fed-Chef absolut keine neuen Informationen parat hatte.
Powell bestätigte lediglich, dass die nächste Zinsanhebung gewiss von geringerem Ausmaß sein werde als die vorangegangenen. Sie werde eher 0,5 % statt 0,75 % betragen, was dem seit einigen Wochen auf dem Markt vorherrschenden Basisszenario entspricht.
Eine derart positive Reaktion auf eine Neuigkeit, die eigentlich gar keine war, wirft die Frage nach der Rationalität der jüngsten Marktbewegungen auf. Neben der Bestätigung weniger schneller Zinsanhebungen betonte Powell auch, dass die endgültigen Leitzinsen gewiss über den Prognosen der Fed von Ende September liegen werden und dass die Zentralbank ihren Kampf gegen die Inflation noch lange nicht gewonnen habe.
Des Weiteren nimmt die Wahrscheinlichkeit einer ausgeprägten weltweiten Rezession im Jahr 2023 Woche für Woche zu, während die Gewinnerwartungen auf Sicht eines Jahres nach unten korrigiert wurden. Nicht zuletzt sind die Märkte noch mit zahlreichen Ungewissheiten konfrontiert.
Diese reichen vom Russland-Ukraine-Konflikt über die Risiken für die Energieversorgung in Europa bis hin zur wirtschaftlichen und gesundheitlichen Lage in China. Wie lässt sich bei so vielen Wolken am Horizont dieses Maß an Zuversicht rechtfertigen?
Nachhaltige Trendwende oder Bärenmarktrally?
Man sollte nicht vergessen, dass Bärenmarktrallys, d. h. ein starker kurzfristiger Anstieg der Aktienkurse in einem mittelfristigen Baissetrend, gar nicht selten sind. Seit den 1970er-Jahren betrugen diese Anstiege für den S&P 500 im Schnitt 15 %, gelegentlich auch über 20 %, und dauerten 55 Tage an.
In dieser Hinsicht liegt der jüngste Aufschwung von +14,5 % für den S&P 500 in etwas mehr als zwei Monaten durchaus im Normbereich. Die entscheidende Frage lautet also, ob es sich hier um eine neue Bärenmarktrally – das Vorspiel zu einer neuen Baisse oder gar einem neuen Tiefststand auf den Aktienmärkten – handelt oder ob wir gerade eine nachhaltigere Trendwende erleben.
Die zweite Hypothese scheint wenig wahrscheinlich. Das legen die trüben Aussichten für die Geldpolitik und die Konjunktur nahe. Hinzu kommt, dass die Bewertungen zwar vernünftig, aber nicht attraktiv sind und dass bei der technischen Positionierung auf vielen Märkten eine übermäßig hohe Risikobereitschaft zu verzeichnen ist.
Zudem sind alle guten Nachrichten bereits eingepreist: das verminderte Risiko schneller Zinsanhebungen der Fed, die Überwindung des Spitzenwerts der Inflation in den USA und ein milder Start in den Winter in Europa, der die Gefahr einer Energiekrise verringert.
Damit sich dieser Trend fortsetzen kann, bräuchte es weitere gute Nachrichten, allen voran die Bestätigung, dass die US-Inflation tatsächlich nachgibt. Sollte es keine neuen Katalysatoren oder – schlimmer noch – erneut Negativ-Signale geben, könnte nach dieser verfrühten Weihnachtsparty zwischen den Jahren durchaus Katerstimmung aufkommen.