Im ersten Halbjahr 2022 überraschten die Inflationsdaten Zentralbanken, Anleger und Wirtschaftswissenschaftler positiv. Zu Beginn des zweiten Halbjahres ist die Inflation immer noch hoch, wobei negative Wachstumsentwicklungen für die Märkte ebenso bedenklich werden. Die Weltwirtschaft verlangsamt sich, und das Risiko einer Rezession in den großen Volkswirtschaften steigt. Die Märkte haben in den letzten Wochen die schwächeren US-Konjunkturdaten aufgegriffen, von denen einige darauf hindeuten, dass die größte Volkswirtschaft der Welt das zweite Quartal in Folge schrumpft.
Im letzten Monat verschlechterten sich zum Beispiel die Indikatoren hinsichtlich US-Housing sowie das Verbrauchervertrauen, was gewöhnlich auf eine allgemeine Schwäche der Wirtschaft hindeutet. Der durch den Inflationsanstieg und die aggressive Straffung der Geldpolitik bedingte negative Realeinkommenszuwachs wirkt sich allmählich auf die Verbraucher aus, sodass viele Wirtschaftsexperten ihre Wachstumsprognosen nach unten korrigieren. Der US-Data-Surprise-Index ist in den letzten zwei Monaten gesunken, was darauf hindeutet, dass die jüngsten Zahlen deutlich hinter den Markterwartungen zurückgeblieben sind.
Optimistischer stimmt die derzeit niedrige Arbeitslosenquote in den USA, doch ist dies ein Spätindikator. Einige Marktbeobachter verweisen auf den anhaltenden Anstieg der wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung in den USA um etwa 60.000 in den letzten zwei Monaten (ausgehend von einem Rekordtief) als Indiz für eine bevorstehende höhere Arbeitslosigkeit.
Anzeichen für Wachstumsverlangsamung
Anzeichen für eine Wachstumsverlangsamung gibt es auch in Europa, wo die PMI-Erhebungen im Juni überraschend negativ ausfielen. Die vorausschauenden Komponenten der Umfrage, wie Auftragseingänge und Geschäftserwartungen, gingen stark zurück.
Weltweit werden die Wachstumsprognosen für 2022 weiter nach unten korrigiert. Einige Ökonomen des Privatsektors erwarten für 2022 ein Wachstum der Industrieländer von nur 2,5 % – weniger als die Hälfte des Anstiegs von 2021.
In den USA, Großbritannien und Europa liegt die Gesamtinflation bei 8-9 % im Jahresvergleich. Die Kerninflationsraten sind niedriger, haben aber zuletzt Anzeichen von Zweitrundeneffekten aufgrund der hohen Gesamtinflation gezeigt. In den meisten Ländern sind die Preise generell gestiegen. So erhöhen sich beispielsweise die Preise für über 60 % des US-VPI-Warenkorbs um 5 % oder mehr im Jahresvergleich.
Nahe am Inflationshöchststand?
Ungeachtet der jüngsten Herausforderungen rechnen viele Experten damit, dass die Inflation im dritten oder vierten Quartal ihren Höhepunkt erreichen wird. Sollte dies der Fall sein, wird sich der Fokus stärker auf die besorgniserregenden Tail-Risiken für das Wachstum richten. Diese Aussichten beruhen im Allgemeinen auf einer Kombination der folgenden zentralen Annahmen:
- nachlassende Basiseffekte bei den Energiepreisen und niedrigere Rohstoffpreise, die in den letzten Wochen stark zurückgegangen sind
- Druck auf die Lieferkette lässt weiter nach und
- eine schwächere Nachfrage, die den Druck auf die Lohnpreise verringert.
Ausblick auf Anleihemarkt: Verbesserung in Sicht trotz erhöhter Risiken und Volatilität
Nach der historisch starken Underperformance des ersten Halbjahres 2022 könnte die schlimmste Zeit für Anleiherenditen vorbei sein.
Das bedeutet nicht, dass die Renditen im zweiten Halbjahr nicht weiterhin neue Höchststände erreichen können – wie dies in früheren Straffungszyklen tendenziell auch der Fall war. Aber die allgemeinen Aussichten für Anleihen haben sich im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 verbessert. In den meisten Märkten ist ein restriktives geldpolitisches Niveau eingepreist. Die langfristigen Real- und Nominalrenditen bewegen sich auf einem Niveau, das eine gewisse Absicherung gegen die Abwertung risikoreicherer Anlagen ermöglicht. Es gibt Anzeichen für eine Verlangsamung des Wachstums.
Was angesichts dieser Faktoren noch fehlt, ist ein deutlicher Rückgang der Inflation. Aus diesem Grund sind wir nach wie vor der Ansicht, dass die großen zweiseitigen Tail-Risiken einer Rezession oder einer anhaltend hohen Inflation die Volatilität von Anleihen (und Aktien) auf einem hohen Niveau halten dürften. Wie im Juni zu beobachten war, ist der Markt binnen weniger Wochen aufgrund von Inflationsängsten zu schwächerem Wachstum übergegangen, was die 10-jährigen Renditen weltweit auf neue Zyklushöchststände trieb, bevor sie um bis zu 60 Basispunkte fielen.
Die Divergenz der Zinskurven zwischen den Märkten könnte in den kommenden Monaten deutlicher werden. So könnten beispielsweise die erheblichen Abwärtsrisiken in Europa aufgrund von Energie- und Fragmentierungsproblemen die Pläne der EZB zur Straffung der Geldpolitik weiter erschweren. Die Terminkurven in Europa und Australien sind steiler als in den anderen Märkten, weil die Straffung der Geldpolitik langsamer erfolgt, während andere Märkte ein gewisses Lockerungsrisiko innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahren einpreisen.
(Ardea Investment Management)