In der Hauptversammlungssaison 2020 gab es fundamentale Einschränkungen der Aktionärsrechte. Die Unternehmen haben ihre HVs überwiegend online abgehalten. Ein Dialog zwischen Eigentümern und Verwaltung der Unternehmen war dabei faktisch unmöglich. Es gab lediglich eine Fragemöglichkeit für Aktionäre im Vorfeld der HV, aber keine Auskunfts- und Antragsrechte.
Während der Versammlung konnten sie dem Management in den meisten Fällen spontan keine Fragen stellen. „Die Hauptversammlung als oberstes Kontrollorgan und Sprachrohr der Aktionäre hat aufgrund der COVID-19-Notgesetzgebung massiv gelitten. Die virtuellen HVs können in dieser Form daher nur vorübergehender Natur sein“, sagt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI. „Sollte die Notregelung verlängert werden, müssen die Regeln für die Hauptversammlungssaison 2021 zwecks Wiederherstellung der Aktionärsrechte unbedingt nachgebessert werden.“
Um Planungssicherheit zu haben, fordern viele börsennotierte Gesellschaften eine Verlängerung des Notgesetzes bis Ende 2021. Sie wollen sich Onlineformate für ihre HVs genehmigen lassen und haben dafür Satzungsänderungen beantragt. Dabei bleiben jedoch meist die deutlichen Einschränkungen der Aktionärsrechte bestehen.
Das ist misslich, denn die kommende HV-Saison 2021 wird aus der Sicht der Aktionäre enorm wichtig. Dann werden sie entsprechend den Umsetzungsregeln zur EU-Aktionärsrechterichtlinie im ARUG II erstmals die Möglichkeit haben, über Vergütungssysteme für Vorstand und Aufsichtsrat abzustimmen.
Das Abstimmungsergebnis ist zunächst nicht verbindlich. In Verbindung mit einer vorausgehenden Generaldebatte kann es aber ein deutliches Zeichen für die Billigung bzw. Missbilligung durch die Aktionäre setzen. Die Ausübung des Rederechts muss deshalb auch in der virtuellen Hauptversammlung möglich sein.
Die wichtigsten Kritikpunkte 2020
Nach wie vor ist die fehlende regelmäßige Abstimmung der Aktionäre über das Vergütungssystem des Vorstands der Hauptkritikpunkt. Das ergab die Untersuchung der Hauptversammlungssaison 2020 durch den Aktionärsdienstleister IVOX Glass Lewis auf Basis der Analyse-Leitlinien (ALHV) des BVI.
Laut der ALHV sollten die Aktionäre darüber mindestens alle vier Jahre auf der Hauptversammlung abstimmen, nur dann ist eine Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats möglich. In der Saison 2020 kamen dieser Anforderung immerhin nur noch 58 Unternehmen nicht nach. 2019 waren es mit 70 deutlich mehr gewesen. Insgesamt hätten bei 58 (82) der 160 untersuchten Unternehmen dem Vorstand und bei 89 (102) Gesellschaften dem Aufsichtsrat die Entlastung verweigert werden müssen.
In der Wahl zum Aufsichtsrat war gegenüber dem Vorjahr eine leichte Verbesserung bei den Grundsätzen zur guten Unternehmensführung zu verzeichnen. Die Zahl der Beanstandungen etwa zu Mandatszahl, Alters-grenzen und Unabhängigkeit ging von 60 auf 51 zurück. Zu beachten ist diese positive Entwicklung vor allem bei den SDAX-Unternehmen.
Positiv war die Entwicklung bei der Zahl der unabhängigen Aufsichtsräte. Die ALHV verlangen, dass die Hälfte der Aktionärsvertreter unabhängig ist. Als nicht unabhängig gilt dabei ein Kandidat, der bereits seit zehn Jahren im Aufsichtsrat tätig ist oder ein Bewerber, der von einem Aktionär mit einem Stimmanteil von mehr als zehn Prozent entsandt wird. Lediglich 20 statt 24 Unternehmen wie im Vorjahr konnten keine ausreichende Zahl unabhängiger Bewerber vorweisen.
Wenig bewegte sich bei der Forderung der ALHV, die Zahl der Aufsichtsratsmandate auf fünf zu begrenzen. Dieser Anforderung entsprachen 42 Unternehmen. Im Jahr zuvor waren es 43. Auch bei der Altersbegrenzung für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder gab es kaum Besserung: 34 (36) Gesellschaften sehen dies nicht für ihre Vorstände oder Aufsichtsräte vor oder veröffentlichen sie nicht. Die betrifft bei 26 Unternehmen den Aufsichtsrat und in 30 Fällen den Vorstand.
(BVI)