Wirtschaft

BaFin will Versicherer in „Manndeckung“ nehmen

Der IWF hatte gewarnt: Die Mini-Zinsen bringen deutsche Lebensversicherer ins Wanken. Nun will die Finanzaufsicht die Anbieter strenger prüfen. Um einzelne Anbieter macht sie sich ernsthaft Sorgen. 

Die Mini-Zinsen bereiten nicht nur Sparern schlaflose Nächte. Größtes Sorgenkind sind derzeit die deutschen Lebensversicherer. Bei einigen geht es um nichts weniger als ihre Existenz. Nach den eindringlichen Warnungen von Ratingagenturen und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), kündigte am Dienstag der neue BaFin-Chef Felix Hufeld an, Versicherungen noch strenger zu prüfen.

Sie könnten die strengeren Kapitalregeln (Solvency II), die von 2016 an gelten, nur „mit erheblicher Anstrengung“ erfüllen, lautet sein Befund. „Sollten die Zinsen weiter so niedrig bleiben, werden wir auch mehr Unternehmen in die aufsichtliche Manndeckung nehmen müssen“, kündigte Hufeld an. Ungewöhnlich deutliche Worte für einen BaFin-Chef. Die Behörde ist dafür bekannt, Warnungen vorsichtig zu formulieren.

Noch deutlich schärfer fiel die Warnung des IWF aus: Die ultraniedrigen Zinsen würden ganz besonders die deutschen Lebensversicherer belasten – vor allem Anbieter mittlerer Größe seien in ihrer Existenz bedroht. Die Probleme müssten zügig angegangen werden, andernfalls gefährde die Schieflage wegen der großen Bedeutung der Branche die Stabilität des gesamten Finanzsystems.

BaFin macht Druck auf Versicherungen

Die Ratingagentur Moody’s hatte Deutschlands Lebensversicherungsbranche sogar als die riskanteste der Welt eingestuft. Besonders die neuen Vorschriften durch Solvency II bereiteten einigen Unternehmen Schwierigkeiten. Die Aufsichtsbehörden müssten dafür sorgen, dass die Anbieter diesen Zustand noch vor Inkrafttreten der neuen Regeln 2016 beheben.

Ein Zusammenbruch eines oder mehrerer Akteure auf dem deutschen Markt könnte einen Reputationsschaden für die gesamte Branche bedeuten, hatte die Ratingagentur gewarnt.

Die BaFin ist sich der Brisanz der Lage durchaus bewusst und steuert gegen: Sie hat die Versicherer aufgefordert, bis zum 3. Juni ihre wichtigsten Solvency-II-Kennzahlen vorzulegen – und zwar unter den Marktbedingungen, die Ende 2014 herrschten. „Unser derzeitiges Gesamtbild zeigt eine Branche, die als Ganzes widerstandsfähig ist“, beruhigte Hufeld. Allerdings gelte dies nicht für jedes einzelne Unternehmen.

Auch die Banken stünden wegen der Niedrigzinsen unter Druck, betonte Hufeld. „Der Zinsüberschuss macht traditionell rund zwei Drittel ihrer operativen Erträge aus, und nicht an jeder Straßenecke sprudeln alternative Ertragsquellen.“ Die BaFin werde deshalb bei allen Banken, die sie direkt beaufsichtige, eine Niedrigzins-Umfrage machen. Von der Untersuchung werden vor allem Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken betroffen sein.

Dabei sollen unterschiedliche Zinsszenarien durchgespielt und „Stresseffekte“ berücksichtigt werden, die sich auf das Kredit- und Marktrisiko auswirken. Zudem werden die eigenen Planungen der Banken abgefragt. Rund 1600 kleinere deutsche Banken, für deren Aufsicht BaFin und Bundesbank zuständig sind, sollen auf Herz und Nieren getestet werden. Die großen Banken werden inzwischen von der EZB beaufsichtigt.

„Das hat Stresstest-Charakter“, sagte der oberste BaFin-Bankenaufseher Raimund Röseler. „Wir erhoffen uns Erkenntnisse darüber, welche Bank noch wie viel Wasser unterm Kiel hat. Und welche ist in Gefahr, auf Grund zu laufen in welchem Zeitraum?“

Warnung vor Überregulierung

Zugleich warnte Hufeld – auch beim Thema Verbraucherschutz – vor Überregulierung: Im Kern seien die diversen neuen Vorgaben sinnvoll. „Doch wenn wir Anbieter mit übersteigerten administrativen Anforderungen lähmen, lähmen wir damit auch die Versorgung mit Finanzprodukten. Den Schaden hätten dann auch die Verbraucher.“

Hufeld führt die BaFin seit dem 1. März. Zuvor war der 53-Jährige oberster Versicherungsaufseher der Behörde. Seine Vorgängerin Elke König verließ die BaFin, um die Leitung der neuen europäischen Behörde zur Abwicklung maroder Banken in Brüssel zu übernehmen.

Hufeld wird die Finanzbranche nicht schonen. Das haben in der Vergangenheit bereits die Versicherer zu spüren bekommen. Hufeld ist bekannt für sein direktes und forderndes Wesen. Vor seiner Zeit bei der BaFin arbeitete er für die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), die Dresdner Bank und den US-Versicherungsmakler Marsh.

Seine Berufung ist aus Sicht der zuständigen Berliner Finanzpolitiker durchaus konsequent. Seit einiger Zeit bemühen sie sich, Experten als Aufseher zu verpflichten, die die Branche nicht nur aus der Außensicht kennen.

Seine Aufgaben sind gewaltig: Die BaFin gilt als behäbig und verstaubt – und befindet sich im Umbruch. Große Teile ihrer Macht und damit ihres Selbstverständnisses bei der Bankenaufsicht hat sie verloren. Seit Anfang November hat die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt die Kontrolle über die wichtigsten Institute übernommen.

Und auch die Wertpapier- und Versicherungsaufsicht wird immer stärker durch internationale Behörden dominiert. Dafür sollen sich die Bonner mehr im Verbraucherschutz engagieren und die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung, die den Bankenrettungsfonds Soffin verwaltet, übernehmen.

Quelle: Anne Kunz – DIE WELT

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