Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten kamen Covid-19 und die Energiekrise hinzu. Die Regierung von Boris Johnson ist mit einer Rekordsteuerlast und großzügigen öffentlichen Ausgaben von der typischen konservativen Politik abgewichen.
Für Johnson ist es vorbei und auch für den Tory-Flügel könnte es zu Ende sein, soweit es die Festlegung der Agenda betrifft.
Ein konstruktiveres Verhältnis zur EU und ein solideres Management der Fiskalpolitik würden das Vertrauen in britische Vermögenswerte stärken. Ein stärkeres britisches Pfund und bessere Renditen bei britischen Aktien könnten die Folge sein.
Tiefe Spaltung
Die regierende Conservative Party war 2016 in der Frage gespalten, ob sie den Brexit überhaupt anstreben sollte (der damalige Premierminister David Cameron hatte sich für den Verbleib ausgesprochen). Nach dem Referendum nahm die Spaltung innerhalb der Partei noch weiter zu, nachdem es Johnson mit der beträchtlichen Unterstützung des Brexit-Arms der Partei gelungen war, Camerons Nachfolgerin Theresa May zu stürzen. May hatte versucht, einen weniger harten Brexit vorzuschlagen als den, der schließlich unterzeichnet wurde. In diesem Sommer werden diese Spaltungen wohl wieder deutlich zutage treten.
Ein weicher Brexit?
Im Parlament gibt es keine parteiübergreifende Mehrheit für einen erneuten Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Union (EU) (obwohl Meinungsumfragen darauf hindeuten, dass sich die öffentliche Meinung über die Mitgliedschaft seit 2016 kaum verändert hat – also etwa 50:50). Das bedeutet jedoch nicht, dass der Status quo bestehen bleibt. Eine gemäßigtere konservative Regierung könnte einige der mit dem Brexit verbundenen Probleme angehen, die sich seit 2018 negativ auf die Wirtschaft ausgewirkt haben. Es ist klar, dass der Handel mit der EU für britische Unternehmen, insbesondere für kleine und mittelgroße Firmen (KMU), schwieriger geworden ist. Der Handel verläuft alles andere als reibungslos, wie die langen Lkw-Schlangen im Hafen von Dover zeigen. Hinzu kommt die Blockade des Nordirland-Protokolls. Der Mangel an Arbeitskräften im Gastgewerbe und in der Landwirtschaft ist ebenfalls eine Folge des Endes der Freizügigkeit. Einige dieser Probleme könnten von einer neuen Regierung angegangen werden. Der Jubel in Brüssel über die Nachricht von Johnsons Abgang deutet auf die Bereitschaft der EU hin, sich ebenfalls um konstruktivere Beziehungen zu bemühen.
Fiskalische Stabilität aktiv angehen
Fortschritte in den Beziehungen mit der EU wären zu begrüßen. Die leichte Aufwertung des britischen Pfundes an den Devisenmärkten deutet darauf hin, dass die Märkte auf einen Richtungswechsel in der britischen Politik positiv reagieren würden. Generell war die britische Fiskalpolitik in den vergangenen Jahren aufgrund von Covid-19 sehr reaktiv. Es gab kaum einen gut durchdachten, langfristigen Ansatz in der Fiskalpolitik. Im März schätzte das Office for Budget Responsibility, dass die Staatsverschuldung im laufenden Haushaltsjahr 3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen wird. Ein langsameres Wachstum und höhere Zinszahlungen stellen ein Aufwärtsrisiko für diese Schätzung dar. Eine der wichtigsten Herausforderungen für Johnsons Nachfolger wird es sein, die Verschlechterung der öffentlichen Finanzen in den Griff zu bekommen und gleichzeitig ein Gleichgewicht zu finden, um die politischen Versprechen in Bezug auf die Anhebung des Niveaus und die Unterstützung des öffentlichen Gesundheitssystems zu erfüllen.
Bessere Beziehungen zur EU?
Ein konstruktiveres Handelsabkommen mit der EU und die Abkehr von lächerlichen (und kostspieligen) Ideen wie der Wiedereinführung des imperialen Maßsystems könnten der britischen Wirtschaftsleistung zugutekommen. Trotz des derzeitigen Zyklus der geldpolitischen Straffung werden die Zinsen wahrscheinlich niedrig bleiben. Großbritannien hat bereits einige beeindruckende Fortschritte bei der Entwicklung erneuerbarer Energien gemacht, was die Innovation im Bereich der sauberen Technologien fördern dürfte. Es wäre auch gut, einige der Brexit-bezogenen Entscheidungen, die zu einem Rückgang der internationalen Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Forschung geführt haben, rückgängig zu machen.
Günstiger britischer Aktienmarkt
Der britische Markt ist im Vergleich zu anderen entwickelten Aktienmärkten günstig. Das Gleiche gilt mit unter 1,20 US-Dollar auch für das britische Pfund gegenüber der US-Währung. Globale Aktienanleger könnten, wenn sich die politische Richtung in Großbritannien zum Positiven wendet, durch einen günstigen Aktienmarkt und eine günstige Währung in Versuchung geführt werden. Natürlich ist die Stimmung gegenüber risikoreichen Anlagen weiter schlecht. Wir haben gerade mit unseren Portfoliomanagementteams die vierteljährliche Bewertung des Ausblicks für Anleihen und Aktien abgeschlossen, wobei unser Rahmenwerk verwendet wurde, das Makro-, Bewertungs-, Stimmungs- und technische Faktoren (MVST) berücksichtigt. Es gab bei Unternehmensanleihen und Aktien ziemlich konsistente negative Ergebnisse in Bezug auf das Makroumfeld und auch ziemlich konsistente positive Ergebnisse hinsichtlich der Bewertungen. Die derzeit immer günstiger werdenden Märkte lassen bessere Renditen in Zukunft erwarten, aber die Anleger suchen noch immer nach einem Katalysator, der eine positivere Entwicklung auslöst.
Wie immer sind die Ereignisse wichtig. Es stehen die nächste Runde der US-Inflationsdaten, eine weitere Zinsentscheidung der Federal Reserve (Fed) und der Beginn der Berichtssaison für das zweite Quartal und – mit Blick auf Großbritannien – ein möglicher politischer Neuanfang an. All diese Dinge können sich negativ auf die Märkte auswirken. Die tiefe Spaltung Großbritanniens insgesamt und in der Conservative Party im Besonderen bedeutet, dass sich die politischen Ereignisse noch verschlimmern könnten. Die Anleger hoffen, dass sich eine pragmatischere Führung herauskristallisiert, die sich wirklich auf die langfristigen wirtschaftlichen Belange Großbritanniens konzentriert. Die Wirtschaft des Landes ist nicht schlecht, es gibt weltweit führende Unternehmen, eine robuste Finanzdienstleistungsbranche und gut ausgebildete Arbeitskräfte. Wenn es der Politik gelingt, das Potenzial freizusetzen, dann können die britischen Märkte den Anlegern in Zukunft viel mehr Chancen bieten.
(AXA)