Wirtschaft

China am Scheideweg

China durchläuft gerade eine Phase der wirtschaftlichen Neuausrichtung. Es geht von einem zentral geplanten, staatlich kontrollierten und industriedominierten Land allmählich zu einem auf Dienstleistungen ausgerichteten Wirtschaftsmodell über, in dem auch private Marktteilnehmer eine immer größere Rolle spielen.

Laut den Experten von J.P. Morgan Asset Management verläuft ein solcher Strukturwandel nachvollziehbarerweise nicht reibungslos. „Die Neuausrichtung ist im Gange, doch Chinas wirtschaftliche Anpassung ist noch mit einigen strukturellen Herausforderungen konfrontiert“, erklärt Michael Mewes, Leiter des Anleiheteams bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt. „Die Herausforderung ist nun, Reformen zeitnah umzusetzen, damit die Produktivität nicht weiter zurückgeht, was letztlich das Risiko einer harten Landung der Wirtschaft erhöhen würde“, so Mewes.

Zwischen „alter“ und „neuer“ Wirtschaft

Chinas heutige Wirtschaft balanciert zwischen zwei Ebenen. Auf der einen Seite steht die „alte“ Wirtschaft, die in erster Linie den industriellen Sektor abdeckt. Sie ist stark von Investitionen abhängig und leidet unter chronischen Überkapazitäten. Auf der anderen Seite wächst die Bedeutung der „neuen“ Wirtschaft, die aus einem innovativen durch Konsum angekurbelten Dienstleistungssektor besteht. Reformbedürftig ist vor allem die erste Ebene. Überkapazitäten in den Bereichen Kohle, Textil und Stahl infolge des vier Billionen Renminbi schweren Konjunkturpakets aus dem Jahr 2008 sorgen nun für Deflationsdruck und sinkende Profitabilität in eben diesen Sektoren.

Bewältigung der steigenden Schuldenlast

Anlass zur Sorge geben auch die stark steigenden Verbindlichkeiten der Unternehmen. Mit ausstehenden Schulden von 134 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist der chinesische Unternehmens­sektor weltweit mit am höchsten verschuldet. „Die Überschuldung der Konzerne führt dazu, dass sich die Qualität der Bankenbilanzen verschlechtert, weil der Anteil der notleidenden Kredite an den Vermögenswerten steigen könnte“, warnt Mewes. „In Kombination mit schwachen Unternehmens-gewinnen und einer andauernden Deflation könnte dies zur potenziellen Quelle finanzieller Risiken werden.“ Als problematisch zu erachten ist die Abneigung chinesischer Institutionen gegenüber Zahlungsausfällen. Dies hat zur Folge, dass zahlreiche unprofitable Konzerne künstlich am Leben gehalten werden. „Diese Haltung muss sich ändern. Die Regierung sollte Unternehmen, die weniger wichtig sind, scheitern lassen, um die Reformfreudigkeit bei den übrigen zu fördern“, so Mewes.

Währungsvolatilität führt zu Kapitalabflüssen

Erfreulich ist hingegen, dass sich China – im Zuge der Liberalisierung seiner Währung und seines Kapitalverkehrs – erfolgreich um die Aufnahme des Renminbi in den SZR-Korb (Korb für Sondererziehungsrechte) bemühte. Der zunehmend durch Marktkräfte bestimmte Kurs des Renminbi ist seit Anfang 2016 nun aber stärkerer Volatilität ausgesetzt. Für Abwertungsdruck sorgen unter anderem das schwächere Wirtschaftswachstum, grundlegende Strukturprobleme und die unterschiedliche geldpolitische Ausrichtung der Zentralbanken. Während in den USA die Fed im Dezember 2015 den Leitzins erhöht hat, tendiert die People‘s Bank of China (PBoC) auch künftig eher zu einer Lockerung der Geldpolitik. Der Druck auf den Renminbi könnte demzufolge bleiben.

Die Erwartungen einer weiteren Abwertung des Renminbi und die getrübten Wachstumsaussichten haben zu Kapitalabflüssen geführt. Schätzungen des International Institute of Finance (IIF) zufolge beliefen sich diese im Jahr 2015 auf 637 Milliarden Dollar. Kurzfristig könnte China das Problem lösen, indem die Kosten für Währungsspekulationen auf Short-Positionen erhöht und diese damit unattraktiver werden. Eine langfristige Lösung jedoch ist nur mit Strukturreformen auf der Angebotsseite möglich, die Direktinvestitionen in China wieder attraktiver macht.

Konzertierte Reformen notwendig

Da China den Renminbi vor einer unkontrollierten Abwertung schützt, geraten auch die Devisen-reserven unter Druck; von Mitte 2015 bis Januar 2016 schrumpften sie um rund 0,8 Billionen auf 3,2 Billionen US-Dollar. Damit einhergehend sank das Vertrauen der Investoren. Die Frage ist, wie China seine strukturellen Probleme lösen kann, wenn die Wirtschaft durch ein höheres Schuldenniveau und schrumpfende Liquiditätsreserven belastet wird.

Um die komplexen Probleme in Chinas Wirtschaft zu lösen, werden die Institutionen wohl in naher Zukunft eine ausgewogene Mischung aus geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen einleiten. Letztendlich müssen die Institutionen konzertierte Reformmaßnahmen auf der Angebotsseite auf den Weg bringen, um die Überkapazitäten, den Verschuldungsgrad und die industriellen Ineffizienzen in den Griff zu bekommen. „Kurzfristig wird die Umsetzung dieser Reformen zweifelsohne schmerzhaft sein. Es wird zu mehr Insolvenzen bei nicht-systemrelevanten Unternehmen, Arbeitsplatzverlusten und Restrukturierungen kommen. Die Reformen sind jedoch notwendig, um das Vertrauen in die Wirtschaft zu stärken und damit das Wachstumspotenzial der nächsten Dekade wieder zu steigern“, meint Michal Mewes.

Anleihenanleger sollten selektiv vorgehen

Eine Beseitigung der relevanten strukturellen Probleme hat sowohl auf Staats- als auch auf Unternehmensebene Auswirkungen auf die Anlagestrategie. Beispielsweise senkte die Ratingagentur Moody‘s den Ausblick für Chinas Bonitätsrating erst kürzlich von Aa3 stabil auf negativ. Zudem sind staatseigene und private Unternehmen von den Problemen durch den Schuldenaufbau und die Unterauslastung von Kapazitäten betroffen. „Wenn die Bereitschaft des Staates zur Stützung von Unternehmen tatsächlich zurückgeht, wird eine intensive Bonitätsüberprüfung auf Emittentenebene wichtiger denn je. Insofern reduzierten wir in der jüngeren Vergangenheit auch unser langjähriges Übergewicht von chinesischen Unternehmensanleihen“, so der Experte.

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