China hat die Autonomie des Landes in den Mittelpunkt gestellt. Nach Meinung von Chinas Präsident Xi Jinping hängt die nationale Größe nicht von den besten Chatprogrammen und mobilen Videospielen ab, sagt Michael Gollits, Vorstand der von der Heydt & Co. AG.
China will den Kern einer kritischen Infrastruktur selber produzieren: modernste Halbleiter, Batterien für Elektroautos, Verkehrsflugzeuge und Telekommunikationsgeräte. So soll Chinas Deindustrialisierung und die Unabhängigkeit von ausländischen Zulieferern vermieden werden.
Die jüngsten Eingriffe des chinesischen Staates in börsennotierte Privatunternehmen haben die einfache Idee von China als dem Wachstumsmarkt, der in jedes Portfolio gehört, erschüttert.
Die Pro-China-Argumente waren bislang: Überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, eine wachsende Mittelschicht und technische Innovation. So manche Reportage über China verstieg sich schon in die Idee eines dem westlichen Kapitalismus überlegenen chinesischen Staatskapitalismus.
Sich der westlichen Allianz stellen
China steht aber vor einer demographischen Herausforderung und muss sich gleichzeitig einer westlichen Allianz stellen, die Chinas geopolitischen Ambitionen Einhalt gebieten will.
In diesem Jahr sahen sich Anleger in erfolgsverwöhnten chinesischen Tech-Unternehmen zudem gleich mit mehreren regulatorische Schocks konfrontiert. Ein Höhepunkt war, dass rund 100 Milliarden US-Dollar an Börsenwert von chinesischen Nachhilfeschulen nahezu ausradiert wurden.
Die Absage des Börsengangs der Fintech-Unternehmens Ant Group, das zeitweise vollständige Verschwinden des Alibaba- und Ant-Gründers Jack Ma aus der Öffentlichkeit und der Schlag gegen den Mitfahrvermittler Didi Chuxing im Juni, nur wenige Tage nach dem dessen Börsengang, hat die Stimmung für chinesische Aktien extrem eingetrübt.
„China kämpft mit demographischen und sozialen Problemen“
Chinas Regierung greift auf mehreren Ebenen ein. Das ist zunächst die Demographie Chinas. Die Ein-Kind-Politik hat für eine schnell überalternde und schrumpfende Bevölkerung gesorgt. Nun droht sie enorme Anforderungen an das soziale Sicherungssystem zu stellen und gleichzeitig das Arbeitskräfteangebot in China drastisch auszudünnen.
China ist nun zu einer Drei-Kind-Politik übergegangen, die jedoch den beschriebenen Trend erst spät bremsen wird. Hohe Bildungsausgaben sind aber ein Handicap auf dem Weg zu kinderreicheren Familien. Zuletzt haben Privathaushalte im Schnitt neun Prozent für Bildung ausgegeben. Als nächste Ebene folgt ein sich abzeichnender Generationenkonflikt.
Jugendkultur der Verweigerung
„Tang ping“, zu deutsch „flach liegen“, ist das Motto einer chinesischen Jugendkultur der Verweigerung. Die chinesische Millenials-Generation will nicht nur westlichen Konsum genießen, sondern auch Freizeit haben und sich dem Leistungsdruck des chinesischen Systems entziehen.
Um das Wachstum anzukurbeln und mehr besser bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen, hat China ein dritte Ebene von Reformen ausgerufen: Chinas Präsident Xi Jinping differenziert Technologie deutlich. Soziale Medien, E-Commerce zum Beispiel sind „nice to have“, aber nicht unbedingt nötig.
Er wünscht sich modernste Halbleiter, Batterien für Elektroautos, Verkehrsflugzeuge und Telekommunikationsgeräte („need to have“), also Sektoren, die man einer kritischen Infrastruktur zurechnen kann.
Damit sollen Chinas Fähigkeiten in der Produktion erhalten werden, um eine Deindustrialisierung zu vermeiden und die Unabhängigkeit von ausländischen Zulieferern zu erreichen.
Aufbau einer einheimischen Halbleiterindustrie
Die reale Wirtschaft, so Xi, sei die Grundlage des Wirtschaftswachstums und die Fertigungsindustrien dürften nicht aufgegeben werden. Hinter den jüngsten Schritten steht also nicht nur die Sozial-, sondern auch die Industriepolitik. Zu den unmittelbaren Herausforderungen zählt der Aufbau einer einheimischen Halbleiterindustrie, die Entwicklung fortschrittlicher Werkstoffe und dergleichen.
Das „zufällige“ Durchsickern chinesischer Strategien, wie Taiwan zu annektieren sei, kommt nicht von ungefähr. Dort schlägt das Herz der weltweiten Halbleiterfertigung, dort stehen die modernsten Chipfabriken – deren Maschinen übrigens nur von einem einzigen Lieferanten aus den Niederlanden hergestellt werden können.
„China will mit seinen Börsen-Champions den heimischen Kapitalmarkt stärken“
Wir bezweifeln, dass chinesische Unternehmen künftig noch eine realistische Chance haben werden, an US-amerikanischen Börsen neues Kapital aufnehmen zu können. Dies war auch eine der Botschaften Chinas an Unternehmen, die einen Börsengang anstreben. Die Champions sollen ein Listing in Hongkong oder der chinesischen Festlandsbörse anstreben, was den dortigen Kapitalmarkt stärken würde.
Von der Kapitalseite kann sich China diesen Fokus angesichts praller inländischer Sparkonten leisten. Am Kapitalmarkt hat man die Signale verstanden.
Während die chinesischen Internet-Superstars um Luft ringen, haben Infrastruktur-Sektoren zugelegt: Hersteller von Komponenten für Elektromobilität, Ausrüster für Hochspannungsnetze, regenerative Energien oder auch lokale Cloudbetreiber.
Der lokale Kapitalmarkt ist enorm breit. Cybersecurity kann China mit eigenen Unternehmen ebenso bedienen, wie den Software-Bedarf in der öffentlichen Verwaltung. Umwelttechnologie und medizinische Versorgung sind alles Segmente, die in Zukunft stark wachsen werden. Daher ist die chinesische Festlandsbörse aktuell zu bevorzugen, da es noch Perlen zu fischen gibt.
(OVID/Gollits Konkret) / surpress