War die Pandemie ein einmaliges Schockereignis? Werden sich die Trends aus der Zeit vor der Pandemie wieder durchsetzen – oder könnte die Krise einen größeren Umbruch herbeiführen, ähnlich wie Roosevelts New Deal in den 1930er Jahren? Unseres Erachtens könnte eine auf einen nachhaltigen Neustart der Wirtschaft fokussierte Geld- und Fiskalpolitik die Welt zu einem anderen Ort machen, als viele erwarten.
Investoren bezeichnen den Marktcrash des ersten Quartals 2020 gerne als „exogenes“ Ereignis oder „schwarzen Schwan“ – womit vielleicht gemeint ist, dass zumindest dieses Mal niemand schuld ist. Viele von uns können sich noch daran erinnern, mit wie viel Schmach die Finanzbranche nach der Krise von 2007-08 – nicht ohne Grund – überhäuft wurde. Die globale Finanzkrise hatte eine ausgeprägt disinflationäre Wirkung: In Verbindung mit alternden Bevölkerungen und der Globalisierung führten der Schuldenüberhang, die Sparpolitik und die Reform des Bankensystems zu zehn Jahren niedriger Produktivitäts-, Wachstums- und Inflationsraten – trotz Nullzinsen und quantitativer Lockerung (QE).
Der Vergleich mit der Covid-Krise mag sich aufdrängen. Viele dieser Trends haben sich verstärkt: Die weltweite Verschuldung hat zugenommen, Nachfrage und Produktion sind eingebrochen und die Arbeitslosigkeit dürfte erhöht bleiben. Warum sollten sich die alten Gegebenheiten nicht wieder durchsetzen, wenn die Welt letztlich zu einer neuen Normalität zurückkehrt?
Zwei Gründe machen das Bild komplizierter
Der erste ist die Geldpolitik: Seitdem Fed-Chef Jerome Powell im vergangenen September die Neuausrichtung der geldpolitischen Strategie der US-Notenbank bekanntgegeben hat, argumentieren wir, dass wir es hier mit der bedeutendsten Änderung der Zentralbankpolitik seit 40 Jahren zu tun haben – und dass andere Zentralbanken dem Beispiel der Fed folgen werden. Die Fed verfolgt jetzt eine „ergebnisorientierte“ an Stelle einer „ausblickorientierten“ Strategie. Die Entwicklung an den Anleihemärkten und Diskussionen über eine frühzeitige Rückführung der Anleihekäufe (Tapering) der Fed signalisieren, dass die Märkte diese Änderung der Reaktionsfunktion noch nicht vollständig eingepreist haben.
Der zweite Grund ist der größere staatliche Einfluss. Die Pandemie hat die Regierungen zu Interventionen gezwungen, die wir nie für möglich gehalten hätten – wie zum Beispiel Direktkredite, Urlaubsregelungen für arbeitslos gewordene Beschäftigte oder Gratisschecks für Bürger. Diese Notmaßnahmen werden vorübergehen, aber der Wunsch nach einer sichereren, gerechteren Welt wird weiter bestehen. Wahrscheinlich wird das Auswirkungen auf Lieferketten, den Welthandel und die Lohnverteilung haben – im Kern ist es aber auch eine grüne Agenda.
Grünes Signal: Umweltpolitik kann Weg für staatliche Ausgaben ebnen
Viele setzen Umweltpolitik mit zunehmender Regulierung gleich und betrachten sie daher als Wachstumsbremse. Wir sehen das jedoch anders: Die Umweltpolitik kann den Weg für staatliche Ausgaben ebnen, vor allem für Infrastrukturinvestitionen, die bedeutende Auswirkungen auf das globale Wachstum haben können. Unter den wichtigsten Themen, die Wähler adressiert sehen möchten, steht der Klimaschutz inzwischen weit vorne. Das sorgt für Bewegung in der Politik.
Europa befand sich nach der Finanzkrise lange auf Sparkurs. Nicht nur, dass die EZB viel langsamer und zurückhaltender bei der Umsetzung innovativer Maßnahmen war als die Fed in den USA – auch die europäische Fiskalpolitik war wesentlich restriktiver. Die Staatsschuldenkrise der frühen 2010er Jahre verdeutlichte die Gefahr der Überschuldung und die Schwierigkeit, eine für Schuldner und Gläubiger akzeptable Lösung zu finden. Sie führte zu einer strengeren Umsetzung des EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts, der den Ländern Grenzen für Defizite und Schulden setzt. Die Pandemie hat Spielraum für eine flexiblere Auslegung dieser Regeln eröffnet. Widerstand gegen eine expansivere Geld- und Fiskalpolitik ist in der Vergangenheit vor allem von Deutschland mit seiner Politik des Haushaltsausgleichs ausgegangen – Stichwort „schwarze Null“. Inzwischen verschieben sich aber auch hier die politischen Prioritäten.
Grün wird zum Mainstream
Mit dem Klimawandel gibt es ein starkes moralisches Argument für höhere Investitionen in den Umweltschutz. In der deutschen Parteienlandschaft liegen die Grünen in den Umfragen zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels auf Platz zwei und werden nach den Bundestagswahlen im September wahrscheinlich eine bedeutende Rolle in einer Koalitionsregierung spielen. Das Wahlprogramm der Grünen ist zwar noch nicht endgültig beschlossen. Ganz sicher aber wird es ein Bekenntnis zu Investitionen in Nachhaltigkeit und Digitalisierung enthalten, die ohne eine expansivere Fiskalpolitik nur schwer zu erreichen sind. Dies ist nicht länger ein Randthema: Dass der CO2-Ausstoß bis 2050 auf null reduziert werden soll, ist weitgehend Konsens. Inzwischen sitzen auch Länder wie Russland, China und Saudi-Arabien mit am Tisch und unterstützen die Diskussion über dieses gemeinsame Ziel.
Während der Trump-Ära sind die USA in puncto Umweltpolitik hinter Europa zurückgefallen. Unter dem neuen Präsidenten Biden sind Umweltthemen auf der politischen Agenda jedoch ganz nach oben gerückt. Die letzten großen Infrastrukturprogramme wurden unter Trumps Vorgänger Obama verabschiedet. Anders als diese Projekte, die vor allem darauf ausgelegt waren, die Nachfrage kurzfristig ankurbeln, sehen Bidens Pläne sowohl eine Erneuerung der veralteten US-Infrastruktur als auch umfangreiche Investitionen in Umwelttechnologie und erneuerbare Energien vor. Falls es den Demokraten gelingt, die gesetzlichen Weichen für die Umsetzung dieser Pläne zu stellen, bevor sie bei den Zwischenwahlen Ende nächsten Jahres (voraussichtlich) ihre Regierungsmehrheit verlieren, könnte Bidens Infrastrukturprogramm sehr positive Auswirkungen auf die langfristige Produktivität und das Wachstum haben.
Tragweite von Umweltthemen und Neuausrichtung der Geldpolitik noch nicht vollständig erkannt
Inflation, Produktivität und Wachstum sind von 2008 bis 2020 immer wieder hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Viele der Treiber sind weiterhin intakt und wir sind weit davon entfernt, sagen zu können, dass wir uns auf dem Weg zu einem nachhaltig höheren Wirtschaftswachstum befinden. Das Einzige, was an der Inflationsdebatte nicht vorübergehend ist, ist die Debatte selbst: Bis mindestens Ende 2021 werden wir nicht wissen, ob die Inflation bleibt.
Die Quintessenz für unsere Portfolios ist, dass die Märkte die Tragweite der Fiskalpolitik mit ihrer Fokussierung auf Umweltthemen und die Neuausrichtung der Geldpolitik unserer Ansicht nach nicht vollständig erkannt haben. Bislang spiegeln das Verhalten der Märkte und die Aussagen von Investoren die Erwartung einer Rückkehr zu den Vorkrisenverhältnissen wider. Doch wenn die Welt zur Normalität zurückkehrt, wird das geld- und fiskalpolitische Umfeld ein ganz anderes sein. Um in diesem Umfeld erfolgreich zu investieren, benötigt man maximale Flexibilität. Multi-Asset-Portfolios können ihr Engagement in Aktien, Anleihen, Währungen und Rohstoffen über verschiedene Regionen hinweg dynamisch steuern.
(INSTINCTIF PARTNERS)