Am 29. März sollte Großbritannien eigentlich aus der EU austreten. Das britische Unterhaus hat allerdings sowohl gegen den Brexit-Deal als auch gegen den No-Deal-Brexit gestimmt und stattdessen eine Verschiebung des Austrittsdatums beschlossen. Das Problem: Dieser Fristverlängerung müssen auch alle 27 EU-Länder zustimmen. Über das weitere Vorgehen wurde gestern und wird heute auf dem Gipfel-Treffen zwischen der EU und Großbritannien entschieden.
Für die EU ist die Lage – milde ausgedrückt – schwierig: Einerseits lässt sich der Sinn einer Verlängerung in Frage stellen. Die britische Politik ist so gespalten, dass eine Eignung in den kommenden Wochen fast an ein Wunder grenzen würde. Größter Streitpunkt ist nach wie vor der sogenannte Backstop, also die Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, bis ein Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien geschlossen ist.
Andererseits hätten auch eine Ablehnung der Fristverlängerung und ein ungeregelter Brexit schwerwiegende Folgen für alle Seiten. Viele europäische Unternehmen sind nicht ausreichend auf ein No-Deal-Szenario vorbereitet und auch auf die Europawahl Ende Mai könnte der chaotische Ausstieg seine Schatten werfen. „Die Finanzmärkte fürchten einen harten Brexit am meisten, denn die unabsehbaren Folgen würden für eine extreme Volatilität mit Abwärtspotenzial sorgen – die Bauzinsen dürften in diesem Fall neue Tiefstände erreichen“, erklärt Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG. „Eine Fristverlängerung und neue Verhandlungen mit der EU sind meines Erachtens am wahrscheinlichsten. Auch das bringt zwar Unsicherheit, der Effekt ist allerdings überschaubar, da sich die Märkte inzwischen darauf eingestellt haben“, so Neumann weiter.
EZB-Sitzung im März: keine Zinserhöhung 2019, neue Geldspritzen für Banken
Die Wirtschaftsaussichten bessern sich auch zum Frühlingsanfang nicht. In Deutschland halbierten die fünf Wirtschaftsweisen gerade ihre Wachstumsprognose auf 0,8 Prozent. In der EZB-Sitzung am 7. März reagierten die europäischen Notenbanker auf die schwache Konjunktur und passten ihren Zinsausblick an: Der Leitzins bleibt bis mindestens über das Jahresende hinaus bei null Prozent. Michael Neumann rechnet damit, dass der Leitzins sogar bis mindestens Mitte 2020 auf seinem Rekordtief bleiben könnte. „Da die negativen Einflussfaktoren auf die wirtschaftliche Entwicklung vorerst weiter bestehen, fehlen positive konjunkturelle Erwartungen“, so der Zinsexperte. „Eine Wiederaufnahme der Anleihekäufe sehe ich aktuell zwar noch nicht. Sollten mehrere wichtige Volkswirtschaften in eine Rezession abdriften, ist allerdings auch das denkbar.“
Die bereits im Vorfeld diskutierten Pläne zu einer Neuauflage der sogenannten TLTROs, die im Jahr 2014 erstmals zum Einsatz kamen, wurden in der März-Sitzung konkretisiert. Sie sollen verhindern, dass Banken im Zuge der Konjunkturabkühlung Kredite zögerlicher vergeben. Das Programm wird im September 2019 starten. „Grundsätzlich hat die EZB mit ihrer Zinspolitik schon massiv zu Marktverzerrungen beigetragen. Da zahlreiche Volkswirtschaften in der Euro-Zone die erkaufte Zeit nicht für Strukturreformen genutzt und sich an die ‚Droge billiges Geld‘ gewöhnt haben, wird der Entzug noch länger auf sich warten lassen“, schließt Michael Neumann.
Fed wartet ab und stellt für 2019 keine weiteren Zinsschritte in Aussicht
Auch in den USA schwächt sich das Wirtschaftswachstum etwas ab. Die Inflation sank zuletzt auf den niedrigsten Stand seit über zwei Jahren. In der geldpolitischen Sitzung gestern beschlossen die amerikanischen Währungshüter, dass sie den Leitzins im laufenden Jahr nicht weiter erhöhen werden. „Die Fed hat sich durch die vergangenen Zinserhöhungen wieder Handlungsspielraum verschafft und kann diesen – wenn nötig – mittelfristig auch für Zinssenkungen nutzen“, meint Michael Neumann. „Wie sich die amerikanische Konjunktur und damit die Geldpolitik entwickelt, hängt stark vom weiteren Verlauf der Handelskonflikte ab.“
Es geht weiter bergab: Bauzinsen erreichen neuen Tiefstand
Die mit dem Brexit verbundene Unsicherheit sorgt nach wie vor dafür, dass Geld verstärkt in sichere Anlagen investiert wird. Die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe sinkt daher im März weiter und lag zwischenzeitlich bei nur noch 0,06 Prozent. Den absoluten historischen Tiefpunkt erreichte sie im Jahr 2016: Nach dem Brexit-Referendum am 23. Juni 2016 rutschte die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe sogar für mehrere Wochen unter die 0-Prozent-Grenze. Der Bestzins 10-jähriger Hypothekendarlehen bewegt sich weiter unter der Ein-Prozent-Marke und liegt aktuell bei 0,85 Prozent. „Es ist nach wie vor kein nennenswertes Aufwärtspotenzial für die Bauzinsen zu erkennen“, so die Prognose Michael Neumanns. „Kurzfristig könnten die Unsicherheiten durch den Brexit die Zinsen sogar noch weiter drücken.“
(Dr. Klein Privatkunden AG)