Wirtschaft

Der Dieselskandal vor dem BGH: Alle wichtigen Fragen und Antworten

Morgen wird sich der Bundesgerichtshof (BGH) erstmals in einer mündlichen Verhandlung mit dem Dieselskandal auseinandersetzen

5317367 / Pixabay

Doch worüber urteilt der BGH genau und welche Folgen hat die Entscheidung? Diese und weitere Fragen beantwortet Rechtsanwalt Claus Goldenstein nachfolgend. Er ist Inhaber der Kanzlei Goldenstein & Partner, die rund 21.000 Mandanten in der Sache vertritt und auch für den BGH-Fall verantwortlich ist:

Worum geht es in dem Verfahren?

2015 wurde öffentlich, dass Volkswagen in Diesel-Modellen mit dem Motor EA 189 illegale Abschalteinrichtungen installierte. Dadurch haben die Fahrzeuge in Testsituationen einen geringeren Schadstoffausstoß vorgegeben, als es im tatsächlichen Straßengebrauch der Fall war. In der Folge musste der Wolfsburger Konzern weltweit mehr als elf Millionen Autos zurückrufen – allein in Deutschland waren es rund 2,4 Millionen Fahrzeuge. Die betroffenen PKW haben durch den Skandal massiv an Wert verloren. Zudem wurden seitdem in einigen deutschen Städten Fahrverbotszonen für bestimmte Dieselfahrzeuge eingerichtet.

Während der Konzern die Fahrzeughalter aus den USA bereits nach kurzer Zeit entschädigte, herrscht in Deutschland noch keine Rechtssicherheit. Obwohl nahezu sämtliche Gerichte hierzulande in der Sache verbraucherfreundlich entscheiden, fehlt bislang ein höchstrichterliches Urteil durch den Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Daran könnten sich alle deutschen Amts-, Landes- und Oberlandesgerichte orientieren.

Dies ändert sich jedoch am 5. Mai, wenn ein Fall unserer Kanzlei Goldenstein & Partner als erstes Dieselskandal-Verfahren vor dem BGH verhandelt wird. Dabei geht es um einen manipulierten VW Sharan, der im Jahr 2014 als Gebrauchtwagen bei einem freien Händler gekauft wurde. Im Juni 2019 sprach das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 25.616,10 Euro nebst Zinsen für die Rückgabe seines manipulierten PKW zu. Zu diesem Zeitpunkt war es das erste stattgegebene Urteil eines deutschen Oberlandesgerichts im Abgasskandal gegen die Volkswagen AG.

Volkswagen und auch wir von Goldenstein & Partner legten Revision gegen das Urteil ein. VW, weil der Konzern die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung und den Schaden weiterhin bestreitet und wir, weil sich die bisherige Laufleistung des Fahrzeuges negativ auf die Entschädigungssumme auswirkte.

Was muss der Bundesgerichtshof entschieden?

Am 5. Mai wird der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ein für alle Mal klären, ob Volkswagen sich bei dem Einbau von Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen sittenwidrig verhalten hat. Sollte der BGH dieser Auffassung folgen, müssen die verantwortlichen Richter zudem entschieden, in welcher Form der Konzern seine betroffenen Fahrzeughalter dafür entschädigen muss.

Zu der Zusammensetzung der Entschädigungen im Dieselskandal gab es bereits zahlreiche Urteile und Hinweisbeschlüsse von deutschen Gerichten. So urteilten einige Gerichte, dass sich die individuelle Laufleistung jedes Fahrzeugs negativ auf die Entschädigungssumme auswirkt, da das Fahrzeug trotz des Betruges genutzt wurde.

Die Höhe dieser sogenannten Nutzungsentschädigung berechnet sich aus dem Anteil der bisher zurückgelegten Kilometer an der maximalen Laufleistung jedes Fahrzeuges. Letztere wird in der Regel mit etwa 250.000 bis 350.000 Kilometern beziffert. Hat ein Auto also 150.000 Kilometer zurückgelegt und es wird eine Maximalleistung von 300.000 Kilometern angenommen, wird eine Nutzungsentschädigung von 50 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises von der Entschädigungssumme abgezogen. Der Kläger bekäme folglich nur die Hälfte des Kaufpreises.

Allerdings sind sich nicht alle deutschen Gerichte bezüglich dieser Nutzungsentschädigung einig. So gab das Oberlandesgericht in Hamburg beispielsweise kürzlich bekannt, dass die Nutzungsentschädigung nur bis zur Aufforderung zur Rückabwicklung durch Volkswagen gelten solle. Schließlich wollen die Halter ihre Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt eindeutig nicht mehr fahren. Das damit verbundene Gerichtsverfahren zwingt sie jedoch dazu, den PKW noch mehrere Monate weiterhin zu nutzen.

Einige Gerichte halten eine Nutzungsentschädigung zudem generell für nicht rechtens. Das Landgericht Potsdam hat dem Halter eines VW-Passats beispielsweise den vollständigen Kaufpreis seines PKW als Entschädigung zugesprochen. Nun wird der BGH entscheiden müssen, wie verbraucherfreundlich das Gericht sich in dieser Angelegenheit positioniert.

Neben dem möglichen Abzug einer Nutzungsentschädigung wird sich der BGH zudem dazu äußern, ob dem Kläger Verzugszinsen zustehen, die die Entschädigungssumme erhöhen. In der vorherigen juristischen Instanz sprach das Oberlandesgericht Koblenz dem Kläger diese Zinsen zu.

Wann wird ein Urteil erwartet?

Das Urteil wird wahrscheinlich noch am 5. Mai 2020 verkündet. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der Bundesgerichtshof seine Entscheidung erst einige Tage oder auch Wochen später mit der Öffentlichkeit teilt.

Was bedeutet das Urteil?

Insgesamt wird das BGH-Urteil für sämtliche Halter von manipulierten Dieselfahrzeugen relevant sein, denn der Bundesgerichtshof wird erstmals seine finale Rechtsauffassung zu diesem Thema mit der Öffentlichkeit teilen. Zukünftig werden sich sämtliche deutschen Amts-, Landes- und Oberlandesgerichte in ihren Urteilen im VW-Dieselskandal auf die Entscheidung des Bundesgerichtshof beziehen.

Da es in dem behandelten Fall um einen Volkswagen-PKW mit einem EA 189-Motor geht, wird das Urteil zunächst für diesen Motortyp endgültig für Rechtssicherheit sorgen. Der EA 189-Motor wurde allein in Deutschland in den Jahren 2008 bis 2016 in mehreren Millionen PKW-Modellen des gesamten Volkswagen-Konzerns verbaut – auch in Fahrzeugen der Hersteller Audi, Skoda, Seat und Porsche. Fahrzeughalter können in ihrem Serviceheft prüfen, ob der Motor EA 189 in ihrem Auto verbaut wurde. Im Normalfall ist diese Information auf der ersten oder letzten Seite des Heftes eingetragen.

Wie wird das Urteil vermutlich ausfallen?

Sämtliche Experten gehen davon aus, dass der BGH ein verbraucherfreundliches Urteil fällen wird und eine sittenwidrige Täuschung durch VW bejaht. Wir von Goldenstein & Partner sind davon ebenfalls überzeugt, denn bislang urteilen urteilen 20 der 24 Oberlandesgerichte in Deutschland dementsprechend. Auch der BGH hatte bereits in einem Hinweisbeschluss in einem Verfahren aus Gewährleistungsansprüchen gegen einen Händler angedeutet, sich verbraucherfreundlich zu positionieren und die Abschalteinrichtung als Mangel zu bewerten.

Hat das Urteil Einfluss auf den VW-Vergleich in der Musterfeststellungsklage?

Nein. Die Musterfeststellungsklage, an der sich rund 260.000 berechtigte VW-Halter beteiligt haben, wurde mit dem Vergleich mit VW beendet. Das Urteil des BGH wird dementsprechend keinen direkten Einfluss auf die Musterfeststellungsklage haben. Allerdings haben sämtliche Teilnehmer der Musterfeststellungsklage die Möglichkeit, ihre Rechte bis Mitte Oktober 2020 individuell durchzusetzen, wenn sie den Vergleich nicht akzeptiert haben.

Für diese Fahrzeughalter ist das Urteil daher relevant, denn im Anschluss wissen sie, welche Entschädigung ihnen zusteht. Sollte der BGH sein Urteil zudem bereits am 5. Mai verkünden, können sämtliche MFK-Teilnehmer, die den Vergleich erst ab dem 21. April angenommen haben, ihre Entscheidung widerrufen. Für das Angebot gilt nämlich die gesetzlich vorgeschriebene Widerrufsfrist von 14 Tagen.

Während VW im Rahmen des Vergleichs eine Entschädigung in Höhe von durchschnittlich 3.167 Euro pro Fahrzeug bietet, sind über Einzelklagen deutlich höhere Entschädigungen möglich. Nicht selten setzen wir von Goldenstein & Partner Entschädigungen in Höhe von mehreren Zehntausend Euro durch. Im Gegenzug dürfen unsere Mandanten ihre manipulierten Fahrzeuge an VW zurückgeben. Das ist in dem Vergleichsangebot trotz der enormen Wertverluste von Dieselskandal-Fahrzeugen auf dem Gebrauchtwagenmarkt nicht vorgesehen.

(Goldenstein & Partner)

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