Unter anderem geht es um die mögliche Unzulässigkeit des Software-Updates, das die Abgasreinigung von manipulierten VW-Fahrzeugen normalisieren sollte. “Ein verbraucherfreundliches Urteil würde den VW-Abgasskandal von vorn beginnen lassen. Eine riesige Rückrufaktion sowie Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe wären die Folge. Möglicherweise könnte zudem das Verkehrsministerium in der Sache haftbar gemacht werden”, meint der Rechtsanwalt Claus Goldenstein. Er ist Inhaber der Kanzlei Goldenstein, die unter anderem für das erste BGH-Urteil im Dieselskandal verantwortlich ist. Nachfolgend beantwortet er die wichtigsten Fragen zu den kommenden Verhandlungen:
1. Worum geht es in den Verhandlungen?
Am Montag Um 10 Uhr befassen sich die BGH-Richter mit der Zulässigkeit des Software-Updates von VW. Dieses sollte die Abgasreinigung von manipulierten Fahrzeugen mit dem VW-Motor EA 189 normalisieren. Der Kläger wirft VW jedoch vor, dass auch das Software-Update eine illegale Abschalteinrichtung enthält. Tatsächlich haben mehrere Gutachten ergeben, dass VW-Fahrzeuge mit diesem Update die zulässigen Schadstoffgrenzwerte nur bei Temperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius einhalten. Diese Form der Abschalteinrichtung wird als sogenanntes Thermofenster bezeichnet.
Um 12 Uhr befassen sich die Richter dann mit der Klage eines Audi-Halters, der ebenfalls ein Fahrzeug mit dem nachweislich manipulierten VW-Motor EA 189 besitzt. Er hat Audi zur Rücknahme des PKW aufgefordert und im Gegenzug Schadensersatz gefordert. Audi argumentiert jedoch, dass VW in der Sache haftbar gemacht werden müsse, da der manipulierte Motor von der Konzernmutter entwickelt wurde. Das Landgericht Halle und das Oberlandesgericht Naumburg bewerteten dies jedoch anders: Die Gerichte sprachen dem Kläger in den Vorinstanzen Schadensersatz zu. Nun muss der BGH endgültig Klarheit in der Sache schaffen.
2. Welche Urteile werden erwartet?
Die Verhandlung zum Software-Update scheint zunächst ergebnisoffen. Im Dezember 2020 gab der Europäische Gerichtshof (EuGH) bekannt, dass Thermofenster per Definition illegale Abschalteinrichtungen sind. Doch zuletzt veröffentlichten die BGH-Richter im Rahmen eines Zurückweisungsbeschlusses die Information, dass der Einbau von Thermofenstern allein nicht ausreicht, um den Tatbestand einer sittenwidrigen Handlung zu beweisen. Die Klägerseite muss also belegen, dass sich VW auch bei der Entwicklung des Software-Updates bewusst illegal verhalten hat.
Anders sieht es bei der Audi-Verhandlung aus. Hier muss der Ingolstädter Autobauer beweisen, dass die Fahrzeugmanipulationen von VW konzernintern unbekannt waren und Audi daher nicht für die daraus resultierten Schäden haftbar gemacht werden kann. Dafür müsste Audi jedoch Konzerninterna veröffentlichen, was als äußerst unwahrscheinlich gilt. Tatsächlich bemühen sich die Unternehmen aus dem VW-Konzern nämlich seit dem Bekanntwerden des Skandals, dass möglichst wenige Details zu dem Thema an die Öffentlichkeit gelangen. Daher ist davon auszugehen, dass der BGH die Entscheidung aus der Vorinstanz bestätigt und dem Kläger Recht gibt.
3. Welche Auswirkungen haben die Urteile für Verbraucher?
Sollte der BGH das Software-Update als illegal bewerten, würde das Thema Abgasskandal für VW von vorn beginnen, denn die PKW hätten nach der Installation des Updates nicht wieder zugelassen werden dürfen. Allein in Deutschland müssten 2,5 Millionen Fahrzeuge erneut zurückgerufen werden. Den Haltern der manipulierten PKW drohen in diesem Fall enorme Wertverluste, Fahrverbote und sogar die Stilllegung der manipulierten Autos.
Gleichzeitig könnten die betroffenen Verbraucher Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe geltend machen – unabhängig davon, wann sie ihren PKW gekauft haben. Auch die eingetretene Verjährung im VW-Abgasskandal wäre plötzlich nichtig.
Zudem müsste geprüft werden, ob das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) über diesen Betrug Bescheid wusste. Die Behörde hat das Update immerhin geprüft und genehmigt. VW gab im Rahmen des EuGH-Urteils zum Thermofenster an, diese Form der Abschalteinrichtung während des Zulassungsprozesses offen kommuniziert zu haben. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, könnte das Bundesverkehrsministerium als Dach-Institution des KBA in der Sache haftbar gemacht werden.
Das Audi-Urteil hätte keine Auswirkungen dieses Ausmaßes. Ein verbraucherfreundliches Urteil würde die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen im Abgasskandal jedoch erleichtern. Grundsätzlich ließe sich das Urteil zudem auch auf Verfahren zu den manipulierten Motoren mit den Bezeichnungen EA 896, EA 897 und EA 898 übertragen. Diese 3,0- und 4,2-Liter-Motoren wurden von Audi entwickelt und auch von VW und Porsche verbaut. Letztere verweisen in der Sache regelmäßig auf die Haftbarkeit von Audi. Diese Argumentation wäre in Zukunft nur noch schwer tragbar.
4. Wann werden die Urteile erwartet
In der Regel verkündeten die BGH-Richter ihre abschließenden Urteile im Rahmen von Dieselskandal-Verfahren stets ein paar Tage nach den mündlichen Verhandlungen. Demnach werden die Urteile zu den Prozessen am Montag noch in der kommenden Woche erwartet.
(Goldenstein Rechtsanwälte)