Die Inflation bereitet derzeit vielen Anlegern, Unternehmen und Verbrauchern Kopfzerbrechen. Die Preissetzungsmacht ist dementsprechend das „Top-Thema“ für Marktteilnehmer, vor allem im Sektor Markenkonsumgüter. Dabei versuchen die Unternehmen, den steigenden Inflationsdruck über höhere Preise weiterzugeben, um den Druck auf ihre eigenen Margen abzufedern. Im Oktober unterstrich Charles Bergh, CEO von Levi Strauss, auf einer Bilanzkonferenz für das Q3 2021, wie wichtig eine starke Marke ist. „2011 hatten wir keine Preismacht. Heute ist das völlig anders. Wir haben uns in den letzten 12 Monaten eine stabile Preissetzungsmacht aufgebaut“. Ferrari-Chef Benedetto Vigna äußerte sich im November ähnlich. Bei der Premiummarke Ferrari sind die Kunden bereit zu warten und tiefer in die Tasche zu greifen. „Eine gute Methode sind unter anderem Preisanpassungen. Wir drehen bereits an der Preisschraube, um die derzeitige Situation erfolgreich zu bewältigen. In der Regel sind die Kunden außerdem geduldig, weil Ferrari-Besitzer eben nicht nur ein Auto, sondern einen Ferrari fahren.”
Viele Luxusfirmen beurteilen ihre Preissetzungsmacht angesichts der kräftigen Nachfrage nach ihren jeweiligen Marken optimistisch. Wie lässt sich Preissetzungsmacht nachweisen? Wir sehen uns die quantitativen Bruttomargen und ihre Stabilität an. Bei diesen beiden Faktoren schneidet der Luxussektor jeweils gut ab. Die prognostizierten Bruttomargen der meisten Unternehmen in diesem Sektor liegen etwa auf dem Niveau ihrer historischen Durchschnittswerte, obwohl die Kosteninflation höher als zu jedem anderen Zeitpunkt in den letzten drei Jahren ist. Das deutet darauf hin, dass starke Marken den Inflationsdruck über die Preisgestaltung weitergeben können, wie die genannten Beispiele zeigen.
Preissetzungsmacht bietet zuverlässigen Inflationsschutz
Die Aussicht auf erneut höhere Inflationsraten dominiert Anlageansätze zunehmend. In der Vergangenheit haben wir gesehen, dass die Preismacht im Luxusgütersegment wohl einen zuverlässigen Inflationsschutz bietet. Der Cost of Living Extremly Well Index des Magazins Forbes, der aus einem typischen Warenkorb von Luxusartikeln, darunter Uhren und Handtaschen, aber auch Opernkarten, Schönheitsoperationen und Vollblutpferden besteht, ist 2021 um 10,1% angestiegen. Dem steht ein kumulierter Durchschnitt von 5% zwischen 1982 und 2021 gegenüber. Die Teuerungsrate ist damit doppelt so hoch wie im US-Verbraucherpreisindex über beide Zeiträume (siehe Abbildung 1 im Anhang). Der Sprung von 10,1% ist der größte innerhalb des Forbes-Index seit 2008 und besonders stark im Modesegment mit einem Preisschub von +10,8% (gegenüber +1,1% 2019).
Federica Levato, Branchenexpertin bei Bain, stellt fest, dass Kunden hohe Preise stärker akzeptieren, da vor allem junge Kunden durch die „Preisrelevanz“ und weniger durch den tatsächlichen Preis motiviert werden. Preisrelevanz bezeichnet dabei den „wahrgenommenen Wert“ eines Artikels. Obwohl sich die Konsumausgaben und -haltung der Kunden voraussichtlich weiter polarisieren werden, meint Levato: „Marken müssen für verschiedene Preispunkte ein glaubwürdiges Angebot entwickeln, um ihre Relevanz bei unterschiedlichen Kundengruppen zu erhöhen, aber gleichzeitig ihrer DNA und Positionierung treu bleiben“.
Wiederverkaufsmarkt spielt immer wichtigere Rolle
Der boomende Wiederverkaufsmarkt spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Preissetzungsmacht des Sektors. „Second Hand“ wird immer beliebter bei jungen Leuten, die bewusst nachhaltig einkaufen wollen und besonderen Wert auf einen zirkulären Modekonsum legen. Die Attraktivität von Luxusprodukten als Anlage verstärkt dieses Konsumverhalten zusätzlich. Rebag ist eine Wiederverkaufsplattform für Luxusartikel. Sie hat vor zwei Jahren auf der Basis von Daten, die über sechs Jahre ständig aktualisiert wurden, den Comprehensive Luxury Appraisal Index for Resale, kurz „Clair“, lanciert. Die drei Luxusmarken Hermès, Chanel und Louis Vuitton haben sich, wie die Daten belegen, 2021 gemessen an ihrem Markenwert trotz der weltweiten Pandemie als Top-Marken behauptet. Zu einem großen Teil verdankten sie das der Kontrolle der Marken über Preise und Bestände. Spitzenreiter sind Hermès-Handtaschen, die 90% ihres Handelswerts behalten, gefolgt von Louis Vuitton mit einer Wertbeständigkeit von 80%, was einem Plus von 17% gegenüber 2020 entspricht. Die Kering-Marke Bottega Veneta ist interessanterweise seit 2019 besonders kräftig und kontinuierlich vorgerückt.
In der Kategorie Uhren und Schmuck sticht das Marken-Trio Van Cleef and Arpels, Rolex und Cartier hervor. Die Produkte von Van Cleef haben eine Wertbeständigkeit von 95%, gefolgt von Rolex und Cartier mit 82% bzw. 74%.
Breit aufgestellte Luxus- und Premiummarken profitieren am stärksten
Wir stellen fest, dass nicht alle Unternehmen gleichermaßen von der Preissetzungsmacht profitieren werden, vor allem angesichts der „Hyperpolarisierung“ des Kundengeschmacks seit Ausbruch der Pandemie. Bei führenden Marken könnten die Preise angesichts der relativ stabilen Nachfrage und der hohen Teuerungsraten das Margenwachstum stark beschleunigen, wenn man die durchschnittlichen Sektormargen zwischen 25% und über 30% bedenkt. Der Markt unterschätzt unseres Erachtens die Rolle von Preissteigerungen für das Margenwachstum in diesem und in den kommenden Jahren. Anleger halten weiterhin Ausschau nach Marken mit einer starken Preissetzungsmacht, die sich bislang noch nicht in der Bewertung widerspiegelt. Hermès und, wie oben erwähnt, Ferrari sind zwei gute Beispiele für Unternehmen, bei denen sich unseres Erachtens in den überdurchschnittlichen Bewertungen nicht nur ein relativ knappes Angebot, sondern auch eine starke Preissetzungsmacht, die auch aus dem knappen Angebot resultiert, widerspiegeln. Wir sind überzeugt, dass breit aufgestellte Marken wie Cartier, Levi’s und L’Oréal ihren Produktmix optimieren werden, um von der dynamischen Preisentwicklung zu profitieren, die bislang Mode- und Ledermarken vorbehalten war. Der Wiederverkaufswert führender Marken stimmt die Erstkäufer optimistisch und ist gleichzeitig eine Chance für junge Konsumenten, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, Luxusprodukte nach dem Motto „weniger kaufen heißt besser kaufen“ zu shoppen. Luxusmarken, die zu Beginn einer Phase der Inflation Preissteigerungen an eine treue Kundenbasis weitergeben können, werden voraussichtlich die Nase vorn haben.
(GAM)