Wirtschaft

Die Wirtschaft nach Covid: anders als vorher

Von Geraldine Sundstrom, PIMCO, Head of European Asset Allocation

jewhisperer / Pixabay


Die COVID-19-Krise wird wahrscheinlich viele zugrundeliegende, langfristige Störfaktoren beschleunigen, die sich bereits jetzt auf Volkswirtschaften und Finanzmärkte auswirken. Dies könnte den Unterschied zwischen den Unternehmen, Sektoren und Ländern, die sich in Schwierigkeiten befinden, und denjenigen, die sich eher wie Störquellen verhalten, nur noch vergrößern. Die Unterscheidung zwischen den beiden wird immer wichtiger.

In unserem letztjährigen Secular Forum identifizierten wir sechs wesentliche langfristige Störquellen, die die Volkswirtschaften und die globalen Märkte in den nächsten drei bis fünf Jahren vor Herausforderungen stellen sollten: den Vormarsch Chinas, den Populismus, die alternden Bevölkerungen, die Online-Technologien, die Anfälligkeit der Finanzmärkte und den Klimawandel. Zwölf Monate später könnte der tragische Verlauf der Covid-19-Pandemie einige dieser Trends verstärken und beschleunigen, und zwar trotz der tief greifenden politischen Eingriffe zur Bewältigung der Pandemie.

Die Zentralbanken und die Finanzbehörden haben mit außerordentlichen Maßnahmen reagiert, sowohl in Bezug auf ihren Umfang als auch auf ihr Tempo. Damit haben sie den Märkten Auftrieb verliehen. Gleichwohl steigt die Zahl der weltweiten Covid-19-Opfer weiter an, während die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ins Bodenlose fallen. Die Folgen dieser Pandemie werden wohl noch über geraume Zeit spürbar sein, worin sich die weitreichende Abschwächung der Fundamentaldaten widerspiegelt; zudem wurden auch die längerfristigen Störfaktoren, die ihre Wirkung bereits zuvor entfalteten, noch verstärkt.

Lassen Sie uns zwei Beispiele genauer betrachten:

  • Online-Technologien: Etwa die Hälfte der Menschheit befand sich oder befindet sich nach wie vor zu einem gewissen Grad im Lockdown, und für all jene, die Zugang zu ihr haben, ist die Technologie zu einer noch drängenderen Notwendigkeit geworden – vom Online-Shopping bis hin zu virtuellen Arbeitsplätzen und Videokonferenzen. Schätzungen zufolge ist die Internetnutzung in den großen Volkswirtschaften seit Beginn des Jahres um 40 Prozent gestiegen, insbesondere in Sektoren wie Einzelhandel, Bildung, Gesundheit, Freizeit und Unterhaltung – bis zum 12. April waren die drei häufigsten Google-Suchbegriffe in den USA Facebook, YouTube und Amazon. In der Zwischenzeit haben sich Unternehmen zügig Cloud-basierte Dienste angeeignet oder lanciert, um ihre Geschäftsaktivität fortführen zu können: Ein großer US-Anbieter von Homeoffice-Diensten meldete bis zum März diesen Jahres etwa eine 22-fach stärkere Inanspruchnahme seiner Plattform in China, während die Downloads des Online-Videokonferenz-Dienstes Zoom im März um 141 Prozent gegenüber dem Vormonat zulegten. Durch die Krise wurde die Integration der Technologie in viele Bereiche unseres täglichen Lebens angeregt und beschleunigt.

 

  • Der Vormarsch Chinas: Die Wirtschaftsstrategie „Made in China 2025“ ist ein Konzept, das die Volkswirtschaft auf Waren und Dienstleistungen mit höherer Wertschöpfung aufrüsten soll. Mit einer ehrgeizigen Breite, die Branchen wie Robotertechnik, IT, Elektrofahrzeuge und maschinelles Lernen abdeckt, sowie mehreren Hundert Milliarden Yuan an staatlicher Unterstützung verfolgt die Volksrepublik das Ziel, ihren Status als „Fabrikhalle der Welt“ hinter sich zu lassen und eine größere Autarkie zu erreichen. Dieses Vorhaben gewinnt zunehmend an Relevanz, da sich der Welthandel seit der Finanzkrise von 2007/08 auf dem absteigenden Ast befindet und die Spannungen im Handel zwischen den USA und China jüngst wieder größer geworden sind. Der Wunsch beider Nationen, ihre Arbeiterschaft vor ausländischen Wettbewerbern zu schützen und die Lieferketten zu verkürzen, könnte den Welthandel weiter in die Knie zwingen und eine Deglobalisierung vorantreiben. Ein geringeres Handelsvolumen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt könnte ferner ihren Wettstreit um die Dominanz der technologischen Entwicklungen verschärfen, was den Innovationswettlauf etwa in den Bereichen 5G-Mobilfunk oder robotergestützte Dienstleistungen, unter anderem in der Medizin, anheizen könnte.

Mit der Aufhebung der Restriktionen werden sich die Volkswirtschaften von der pandemiebedingten Rezession letztendlich wieder erholen, wobei es allerdings äußerst fraglich ist, ob alles wieder so werden wird, wie es einmal war. Durch das Aufdecken alter Ineffizienzen und die Entwicklung neuer Präferenzen könnten die durch die Covid-Krise herbeigeführten Veränderungen beständiger sein, als wir denken, und weitreichendere Folgen haben.

Gewinner versus Verlierer

Auf der einen Seite werden einige Wirtschaftssektoren vermutlich stärker als andere von dem sich verändernden Konsumentenverhalten und den sich verschiebenden Präferenzen profitieren – nennen wir sie „Gewinner“. Auf der anderen Seite dürften diverse Bereiche infolge dieser Veränderungen vor größeren Herausforderungen stehen, was sie noch stärker negativ beeinflusst. Auf welcher Seite Unternehmen, Branchen und Wirtschaftsregionen stehen werden, dürfte davon abhängen, ob es ihnen gelingt, sich an diese Veränderungen anzupassen und sich innerhalb der neuen Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln. Dabei wird eine Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen für die Anleger immer wichtiger werden.

Während sowohl „Gewinner“- als auch „Verlierer“-Unternehmen in sämtlichen Regionen und Branchen zu finden sein dürften, könnte die jüngste Marktdynamik Hinweise darauf liefern, an welcher Stelle Störungen vorliegen.

Die Signale könnten nicht deutlicher sein: Die Nachfrage in den Bereichen Gesundheit und Technologie scheint nicht nur immun gegenüber der Krise zu sein, sondern auch von ihr zu profitieren, während traditionelle Hersteller, Finanzinstitute und Energiekonzerne am stärksten in Mitleidenschaft gezogen werden. In einer technologiegetriebenen Welt, kombiniert mit einem verminderten Welthandel, ist womöglich weniger Öl und mehr Automatisierung gefragt, während die Geschäftsmodelle der Banken durch das anhaltend geringe Zinsniveau mit Schwierigkeiten konfrontiert sein könnten.

Obschon die Regierungen begonnen haben, den Lockdown schrittweise zu lockern, wird die finanzielle, wirtschaftliche und gesundheitliche Erholung von der Pandemie wohl bedauerlicherweise weder reibungslos verlaufen noch leicht von der Hand gehen. Daher sollten sich die Anleger darüber im Klaren sein, dass der Weg zur Erreichung ihrer finanziellen Ziele nun ein ganz anderer sein könnte, da die „Gewinner“ unter den Marktteilnehmern den „Verlierern“ ein immer größeres Stück vom Kuchen wegnehmen. Die Fähigkeit, zwischen beiden zu unterscheiden, gewinnt an immenser Bedeutung.

(PIMCO Corporate Communications)

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