Der Ausblick für die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ist in den letzten Wochen aufgrund des anhaltenden Inflationsdrucks deutlich restriktiver geworden. Wir erwarten, dass die EZB heute das Ende von Quantitative Easing (QE) Anfang Juli signalisieren wird. Dies wird dann eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte (BP) auf -0,25 Prozent in der Juli-Sitzung ermöglichen. Wir gehen davon aus, dass die Zinsen im dritten Quartal aus dem negativen Bereich gehoben werden.
Die EZB befindet sich in einer schwierigen Lage: Steigende Inflationsraten erfordern aggressivere Zinserhöhungen, aber eine wesentlich schwächere Wirtschaft bedingt ein moderateres Vorgehen. Die jüngste Kommunikation der EZB hat deutlich gemacht, dass sie die Inflation als prioritär betrachtet. In unserem Basisszenario erwarten wir eine Straffung um 100 bis 125 BP im Jahr 2022.
Wir erwarten, dass die Zinssätze 2023 über den neutralen Zinssatz (geschätzt auf 1,5 Prozent) hinausgehen und etwa 2,5 Prozent Ende 2023 erreichen. Dies ist 50 BP höher als die Erwartungen der Märkte. Ein restriktiver Kurs wird wahrscheinlich notwendig sein, um den Inflationsdruck zu dämmen.
Preisdruck im Euroraum nimmt weiter zu
Bei 60 Prozent der Güter liegt die Inflation inzwischen zwei Prozentpunkte über dem langfristigen Durchschnitt. Vor drei Monaten lag diese Zahl noch bei weniger als 40 Prozent. Die Inflation bei den Dienstleistungen hat sich auf den höchsten Stand seit der Einführung des Euro erhöht. Dieser war in der Vergangenheit der beständigste Teil der Inflation.
Darüber hinaus deutet unser Vanguard Leading Economic Indicator darauf hin, dass eine Rezession in diesem Jahr wahrscheinlich vermieden werden kann, trotz einer deutlichen Abschwächung der Wirtschaft. Dies bestärkt unsere Ansicht, dass die EZB die Zinsen in den nächsten Monaten deutlich anheben wird.
Zweitrundeneffekte, was dann?
Der Ausblick für die EZB ist momentan mit viel Unsicherheit verbunden. Im Falle von Zweitrundeneffekten erwarten wir, dass die EZB die Zinsen aggressiver anhebt als in unserem Basisszenario. Andererseits würde ein Importverbot von russischem Gas wahrscheinlich zu einer Rezession im Euroraum führen. In diesem Fall ist mit einem Stillstand des Zinserhöhungszyklus zu rechnen. Außerdem wäre eine mögliche Wiederaufnahme von QE möglich, insbesondere im Falle einer Marktfragmentierung.
(Vanguard)