Glauben Sie, dass die derzeitige Geldpolitik der Federal Reserve (Fed) die US-Wirtschaft möglichen Ungleichgewichten und Spekulationsblasen aussetzt?
Nikolaj Schmidt: Ungleichgewichte in der Realwirtschaft, also am Gütermarkt, stellen derzeit kein großes Problem dar. Die USA sowie der Rest der Welt erholen sich gerade von einem Schock, der zu einer erheblichen Depression der Wirtschaftstätigkeit geführt hat.
Was wir heute erleben, entspricht in etwa dem historischen Muster: Ungleichgewichte in der Realwirtschaft bauen sich in der späteren Phase des Konjunkturaufschwungs auf, nicht in der Rezession oder in den früheren Phasen des Konjunkturaufschwungs.
Konkret nehmen wir im Moment Anzeichen für Überinvestitionen wahr und nicht das schnelle Kreditwachstum, welches normalerweise ein Indikator für das Entstehen von Ungleichgewichten ist. Einen gewissen Anpassungsbedarf der Realwirtschaft sehen wir aber beim Verbrauch langlebiger Güter.
Die Kombination der expansiven Fiskalpolitik in den Jahren 2020 bis 2021 und der Corona-bedingten Unfähigkeit der Haushalte, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, hat den Verbrauch der Haushalte an langlebigen Gütern wie Autos oder Möbel in die Höhe getrieben. Wir erwarten an dieser Front eine gewisse Anpassung in den kommenden Monaten.
Im Hinblick auf den Finanzmarkt besteht das eigentliche Risiko darin, dass die quantitative Lockerung der Fed die Volatilität, insbesondere an den Aktienmärkten, etwas niedrig erscheinen lässt.
Ich rechne damit, dass wir im Zuge der Lockerung der fiskalpolitischen Maßnahmen und der Drosselung der Wertpapierkäufe (Tapering) durch die Fed eine höhere Marktvolatilität und größere Kursverluste am Aktienmarkt erleben werden, als wir es im letzten Jahr gewohnt waren.
Ich bin jedoch der Meinung, dass wir uns immer noch in den frühen Phasen der Expansion des Konjunkturzyklus befinden, und daher in Zukunft – auch wenn die erwarteten Renditen etwas niedriger und die Volatilität etwas höher sein werden – Ausverkäufe an den Märkten wahrscheinlich immer noch eine Chance für die Anleger darstellen und nicht ein Vorzeichen einer großen Korrektur sind.“
Was erwarten Sie von den nächsten Schritten der Fed? Und was könnte schief gehen?
Nikolaj Schmidt: Die Fed wird im November ankündigen, dass sie ihre Wertpapierkäufe schrittweise zurückfahren wird. Das große Risiko besteht darin, dass die Fed die geldpolitische Akkommodation genau zu dem Zeitpunkt zurückfährt, zu dem auch die US-Fiskalpolitik einen Richtungswechsel vom Gegenwind in den Rückenwind einleitet.
Aus Sicht des Marktes besteht das Risiko darin, dass die Fed den Eindruck erweckt, die Unterstützung für die Wirtschaft genau zu dem Zeitpunkt zurückzuziehen, an dem die Wirtschaft schwächer wird. Dies könnte der Katalysator für eine erhöhte Marktvolatilität sein, die wiederum zu einer ernsthafteren Verschärfung der Finanzlage führen könnte. Wahrscheinlicher erscheint jedoch, dass es sich um ein vorübergehendes Problem handelt und die Konjunkturexpansion weitergeht.“
Welches sind die Hauptrisiken, die der US-Wirtschaft drohen? Welche Sektoren und Anlageklassen könnten von diesen Risikofaktoren stärker betroffen sein?
Nikolaj Schmidt: Das Hauptrisiko für die US-Wirtschaft besteht darin, dass das Zusammenspiel der Folgen einer langsamer wachsenden Wirtschaft in China, einer strafferen inländischen Finanzpolitik und des Taperings der Fed zu einer ungerechtfertigten Verschärfung der Finanzlage führt. Dies würde sowohl für die Kredit- als auch für die Aktienmärkte ein Risiko darstellen, insbesondere für die zyklischen Werte des Aktienmarkts.
Sollte dieser Fall eintreten, gehen wir davon aus, dass die Fed gegenüber den Märkten versichert, dass keine abrupte Straffung der Geldpolitik bevorsteht. Dies könnte entweder in Form von Forward Guidance (Kommunikation der künftigen geldpolitischen Absichten) oder einer Anpassung des Taperings geschehen.
(T. Rowe Price)