Die globalen Aktienmärkte zeigen seit einigen Wochen eine zunehmende Divergenz zwischen den USA und dem Rest der Welt. Die US-Märkte eilen von Hoch zu Hoch, hauptsächlich angetrieben von wenigen Schwergewichten im Technologiesektor. Der Rest der Welt tritt, mit Ausnahme der Schwellenländer, die vom schwachen Dollar profitieren, auf der Stelle. Die teilweise exorbitanten Bewertungen der Megacaps – Apple hat als erstes Unternehmen überhaupt eine Marktkapitalisierung von 2 Billionen USD erreicht – reflektieren nicht nur anhaltende Begeisterung für den Technologiesektor, sondern sind vor allem eine Folge des tiefen Zinsniveaus.
An den Finanzmärkten herrscht derzeit der Glaube vor, dass die Zinsen noch über Jahre hinaus extrem tief bleiben werden. Dabei ist jedoch kaum zu übersehen, dass sich das Zinsniveau in einem besorgniserregenden Ausmaß von den fundamentalen Daten abgekoppelt hat. Die globalen Notenbanken, allen voran die US-amerikanische FED, vollziehen aktuell einen gefährlichen Balanceakt: Auf der einen Seite schüren sie die Erwartung dauerhaft niedriger Leitzinsen, auf der anderen Seite steigt aufgrund besser werdender Wirtschaftsdaten der Druck auf die gesamte Zinsstruktur. Damit baut sich an der Zinsfront zunehmende Spannung auf, die sich irgendwann abrupt entladen könnte.
Märkte am Tropf der Zinspolitik
Auslöser für einen raschen Zinsanstieg könnte eine baldige Zulassung neuer CoViD19-Impfstoffe sein. Sobald einer oder mehrere wirksame Impfstoffe für den weltweiten Einsatz zur Verfügung stehen, dürften die Finanzmärkte deutlich verbesserte Konjunkturaussichten einpreisen. Ein Kursfeuerwerk ist in diesem Fall jedoch nicht das Hauptszenario. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass die Märkte auf die Nachricht effektiver Impfstoffe mit Zurückhaltung reagieren oder es sogar zu Korrekturen kommt. Nach dem Motto „good news are bad news“ reagieren Märkte, die stark von der Zinspolitik abhängen, häufig „invers“ auf gute Wirtschaftsnachrichten: die Erwartung höherer Zinsen überwiegt dann den positiven konjunkturellen Effekt. Investoren, die sich auf dieses Szenario vorbereiten wollen, sollten damit beginnen, konjunktursensitive Sektoren in ihrem Portfolio höher zu gewichten. Diese Sektoren weisen deutlich bessere Bewertungen auf und sind daher weniger abhängig vom Zinsgeschehen. Zwar dürfte die US-Notenbank weiter versuchen, das Zinsumfeld aktiv zu dämpfen; angesichts steigender Inflationserwartungen in den USA wird dies jedoch zunehmend schwieriger.