- Für Axel Cron, CIO bei HSBC Asset Management (Deutschland), verändert die Zinswende in den USA und Europa das Gefüge an den Kapitalmärkten
- Der Markt hat sich noch nicht vollständig auf diese Wende eingestellt
- Trotz aller Turbulenzen ist der Ausblick auf das 2. Halbjahr überwiegend positiv
- Die Inflation wird sinken und die Wirtschaft wachsen
- Darauf können sich Anleger einstellen – und sollten besonders Lateinamerika und Südostasien in den Fokus nehmen
„Das ist ein Strukturbruch. So etwas gab es lange nicht“: Für Dr. Axel Cron, Chief Investment Officer bei HSBC Asset Management (Deutschland), stehen die Kapitalmärkte weltweit am Beginn einer neuen Zeit. „Ein Zurück zu der Situation wie noch vor einigen Monaten wird es auf lange Sicht nicht geben. Darauf müssen sich Anleger einstellen.“
Zu Beginn des Jahres habe noch verhaltender Optimismus geherrscht. „Die Erwartung war: Die Welt nach Corona werde wie die Welt vor Corona sein.“ Doch durch den Krieg in der Ukraine habe sich die Ausgangslage verändert, so Cron. Die anhaltenden Lieferkettenprobleme, die eingetrübten Wachstumsaussichten, die hohe Inflation und die Lage an den Rohstoffmärkten haben die Stimmung an den Märkten weiter gedrückt. Hinzu komme das, was Anleger eigentlich lange erwartet haben: die Zinswende. „Doch sie kommt schneller und heftiger als gedacht.“
Die Zinswende verändert die Märkte
„Die Zinswende verändert das gesamte Gefüge an den Kapitalmärkten“, sagt Cron. „Aber in einem positiven Sinne.“ Negative Zinsen in wachsenden Volkswirtschaften seien eigentlich eine Anomalität. Mit der Zinswende der großen Notenbanken kehre wieder Normalität an den Märkten ein. „Aber der Markt hat sich noch nicht vollständig auf diese neue Normalität eingestellt. Bis die Folgen der Zinswende in allen Verästelungen der Finanzmärkte ihren Niederschlag gefunden haben, wird noch etwas Zeit vergehen.“ Doch die Auswirkungen seien bereits jetzt zu sehen.
Das gesamte Zinsgefüge ist bereits angestiegen. Zehnjährige US-Staatsanleihen übertreffen aktuell die erwartete Inflation. „Nachdem wir nahezu zwei Jahrzehnte über negative Realzinsen gesprochen haben, ist das eine völlig neue Situation“, so Cron. Die Renditen von US-Staatsanleihen liegen derzeit sogar höher, als die von chinesischen Anleihen. „Das stellt die Kapitalmärkte vielleicht nicht auf den Kopf. Aber es zeigt: Da hat sich einiges verändert.“
Die Inflation wird sinken – die Wirtschaft wachsen
Trotz aller Turbulenzen in der Realwirtschaft und an den Finanzmärkten blickt Cron grundlegend zuversichtlich in die Zukunft. Die starken Wachstumsraten der vergangenen Quartale in vielen Volkswirtschaften, werden zwar nicht mehr zu halten sein. Doch global erwarte man in 2022 immer noch ein Wirtschaftswachstum von 2,5 bis 3 Prozent. „Wir sehen definitiv keine globale Rezession.“
Er geht zudem davon aus, dass die hohen Inflationsraten bereits im Jahresverlauf wieder sinken werden: „Alles, was die hohe Inflation erklärt, ist vermutlich bald nicht mehr da.“ Die Basiseffekte bei den Energiekosten würden sich naturgemäß auswachsen, die fiskalischen Impulse schwinden und auch erste Vorlaufindikatoren deuten darauf hin, dass sich Lieferkettenprobleme demnächst entspannen dürften.
Bis sich die inflationsdämpfenden Effekte zeigen, werde aber noch etwas Zeit vergehen. „Bis dahin müssen die Notenbanken etwas tun. Und sie tun es auch,“ so Cron. „Die Fed hat exzellent vorgelegt, Woche für Woche die Rhetorik verschärft und die Inflationsbekämpfung zu ihrem Hauptthema gemacht.“ Das habe die Inflationserwartung an den Märkten sichtlich gedrückt. Auf lange Sicht sei dort keine Inflationsgefahr mehr zu sehen.
Auch eine Deglobalisierung, von der derzeit viel die Rede ist, sei nicht zu erkennen. „Über Deglobalisierung wird ja nicht am grünen Tisch entschieden“, sagt Cron. „Die Entscheidung treffen Konsumenten.“ Und so lange die zu den günstigeren Produkten greifen, werde es den Druck zu Kosteneffizienz geben. Doch sei es durchaus sinnvoll, mal innezuhalten und mögliche Effizienzgewinne kritisch zu überprüfen. „Wachstum lässt sich auf eine solidere Basis stellen, ohne sich von Globalisierung zu verabschieden.“
Defensive Positionierung für Anleger
Auf diesen Grundlagen können Anleger ihre Strategie aufbauen – und die führt weiterhin kaum um Aktien herum. Wer sich jetzt aus seinen Aktienpositionen herausziehe und mehr Kasse halte, sei der Inflation ausgeliefert – ohne Chancen auf positive Entwicklungen zu haben. Gleichwohl sei im aktuellen Marktumfeld eine eher defensive Positionierung sinnvoll. „Aber wenn die Inflationsraten nachhaltig fallen, wird sich die Lage beruhigen,“ so Cron. „Die Märkte werden sich auf das neue Zinsumfeld einstellen und sich auf Unternehmensgewinne konzentrieren. Und da wird sich weiterhin zeigen: Aktien funktionieren fundamental.“
Die jüngsten Quartalszahlen börsennotierter Unternehmen enthielten viele positive Botschaften für Aktienanleger. Firmen in den USA hätten gute Zahlen vorgelegt und lägen mit ihren Gewinnsteigerungen im langfristigen Durschnitt. Auch in Europa herrsche eine optimistische Erwartungshaltung. „Das muss man erstmal hinkriegen angesichts der aktuellen Probleme“, sagt Cron. „Das spricht für gute Geschäftsmodelle. Und entsprechend ändert sich auch der Ton in den Unternehmen. CEOs reden wieder mehr von Investitionen“.
Die Aussichten für Aktienanleger sind also positiv, auch wenn die Kurse an den Börsen das bislang noch nicht spiegeln. Bis sich die Lage an den Aktienmärkten beruhigt hat, sei eine Konzentration auf Sektoren sinnvoll, die nicht eng an der Zinsentwicklung hängen und starke Dividenden versprechen. „Für Wachstumsaktien ist es zu früh.“ Ohnehin müssten Anleger jetzt genauer darauf achten, wo sie investieren.
Lateinamerika und Südostasien stärker in den Fokus rücken
„Lateinamerika ist zuletzt etwas aus dem Fokus geraten. Doch wir sehen dort den Beginn einer positiven Entwicklung“, so Cron. „Ohnehin sind Anleger bei den Emerging Markets in der Vergangenheit oft zu sehr auf China fokussiert gewesen. Das ändert sich gerade. Auch Südostasien könnte von der aktuellen geopolitischen Entwicklung profitieren.“ Für Anleger eröffneten sich da neue Möglichkeiten, zumal China derzeit nicht der große wirtschaftliche Stabilitätsanker wie in der Vergangenheit sei.
Zu Bedenken gibt Cron jedoch, dass in Asien die Inflationsthematik nicht unterschätzt werden dürfe. „Steigende Nahrungsmittelpreise treffen Länder dort ganz anders als uns. Mancherorts besteht der Warenkorb zu 50 Prozent aus Lebensmitteln.“ Die Auswirkungen steigender Lebensmittelpreise, seien derzeit noch gar nicht richtig zu bewerten.
Grundsätzlich herrsche unter Investoren aber immer noch eine hohe Bereitschaft, auf das asiatische Wachstum zu setzen. „Ein Einstieg aber ist nicht mehr günstig“, so Cron. Anleger schauten zudem verstärkt auf verlässliche Rahmenbedingungen für ihr Investment in der Region. „Doch wenn diese Bedingungen gegeben sind, sieht es für Asien gut aus.“
(HSBC Asset Management)