Wirtschaft

Hartmut Giesen, Sutor Bank: „Facebooks Libra macht Kryptowährungen massentauglich – auch ohne Banken“

• Starkes Konsortium verdeutlicht Massenanspruch – doch keine Banken dabei • Libra auch als Mittel zur finanziellen Inklusion • Hürden: Aufsichtsrecht, staatlicher Widerstand, Datennutzung

Simon / Pixabay

Mehr als 2,4 Milliarden potenzielle Nutzer für Facebooks Kryptowährung Libra: Gelingt es Facebook nach der Revolutionierung der privaten und öffentlichen Kommunikation nun auch, das globale Geldsystem zu revolutionieren? Nach Ansicht von Hartmut Giesen, zuständig für digitale Geschäftsmodelle sowie das Business Development im Fintech-Bereich bei der Hamburger Sutor Bank, wird der für 2020 geplante und am 18. Juni bereits näher vorgestellte Coin Libra Kryptowährungen in Zukunft massentauglich machen. „Das Facebook-Libra-Projekt ist in Größe, Anspruch und Erfolgswahrscheinlichkeit wegweisend und kann die Verbreitung von Kryptowährungen enorm beschleunigen“, erklärt Hartmut Giesen. Interessant dabei: In dem von Facebook gebildeten Konsortium sind zwar wichtige Akteure des globalen Finanzsystems dabei, aber keine Banken.

Krypto-Token mit stabilem Referenzwert

Mit dem Libra-Token sollen die Nutzer der Facebook-Plattformen – neben Facebook selbst auch WhatsApp und Instagram –, sich gegenseitig Zahlungen zukommen lassen können. Die Währung basiert wie andere große Kryptowährungen auf der Blockchain-Technologie, ist aber an reale, stabile („stable“) Währungswerte gekoppelt – daher die Bezeichnung als „Stablecoin“. Gemäß veröffentlichtem Whitepaper ist der Referenzwert des Libra keine Einzelwährung wie der US-Dollar, sondern ein Korb verschiedener Währungen. „Ein an stabile Referenzen gekoppelter Token gilt als Schlüssel für die breite Anwendung Blockchain-basierender Zahlungen in verschiedenen Kontexten wie Handel, Logistik oder Industrie – also dort, wo sie etwa Machine-to-Machine-Payments ermöglichen sollen. Denn sowohl Menschen als auch Unternehmen können mit Zahlungsmitteln, deren Wert stark schwankt – wie es etwa beim Bitcoin der Fall ist –, nichts anfangen“, erklärt Hartmut Giesen.

Die Sutor Bank selbst hat vor drei Jahren gemeinsam mit einer eMobility-Plattform und einem Berliner Startup einen der ersten Stablecoins entwickelt, mit dem Elektroautobesitzer Strom an privaten Ladesäulen bezahlen konnten.

Starkes Konsortium verdeutlicht Massenanspruch – doch keine Banken dabei

Der Libra ist der erste Ansatz einer weltweit aktiven Plattform, gemeinsam mit einer Reihe weiterer starker Partner mit einem Massenkundengeschäft eine Kryptowährung mit globalem Massenanspruch zu kreieren. Unter den Partnern sind auch Firmen, die das Facebook-Vorhaben direkt angreift, wie Visa, Mastercard oder Paypal. Für die Akzeptanz bei den Nutzern dürfte die Einbindung etablierter und reichweitenstarker Partner förderlich sein: „Um Stablecoins weltweit zu skalieren müssen die Betreiber erstens die Mittel haben, um den Wert der kursierenden Coins mit den ‚echten‘ Referenzwerten zu hinterlegen, und zweitens das Vertrauen der Nutzer genießen. Das Konsortium, das Facebook gebildet hat, bringt beides mit“, erklärt Hartmut Giesen.

Interessant dabei ist, dass im Facebook-Konsortium zwar wichtige Akteure des globalen Finanzsystems dabei sind, aber keine Banken. „Das könnte damit zu tun haben, dass das gesamte Libra-Setup ihnen am meisten ‚weh‘ tut, aber auch damit, dass sie die aufsichtsrechtlichen Komplikationen scheuen, die durch eine Mitgliedschaft im Konsortium entstehen können“, analysiert Hartmut Giesen.

Globale Infrastruktur, Mittel zur finanziellen Inklusion

Die weltweite Durchdringung von Facebook, WhatsApp und Instagram in Verbindung mit dem künftig integrierten Wallet namens Calibra macht den Libra auf einen Schlag für Milliarden Menschen zumindest theoretisch sofort verfüg- und akzeptierbar. Dabei soll die neue Währung auch als Mittel finanzieller Inklusion dienen: In vielen Entwicklungsländern haben mehr Menschen einen Facebook-Account als ein Bankkonto. Darüber hinaus ist die Bevölkerung den Kapriolen ihrer Währungen ausgeliefert. „Facebook kann vielen Menschen erstmals Zugang zu einem stabilen Zahlungssystem inklusive einer stabilen Währung verschaffen. Gerade für diese Nutzer spielt auch der Transfer von Geld aus dem Ausland, wohin sie des Verdienstes wegen auswandern, zu ihren Familien eine große Rolle“, sagt Hartmut Giesen. Der Libra könne den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr daher in großem Maßstab drastisch vereinfachen und verbilligen.

Hürden: Aufsichtsrecht, staatlicher Widerstand, Datennutzung

Mit Blick auf die Umsetzung gilt es jedoch noch einige Hürden zu überwinden. Dazu zählen insbesondere Fragen des Aufsichtsrechts: Wie müssen Nutzer identifiziert werden, welche Anti-Geldwäsche-Pflichten müssen eingehalten werden, welche Steuervorschriften gelten, ist der Token als  Zahlungsinstrument oder als Security Token anzusehen, was wiederum unterschiedliche Regulierungsvorschriften nach sich zieht. Zudem könnte es in einigen Staaten starken gesetzlichen Widerstand geben, um eine breite Kapitalflucht in den Libra zu verhindern: „Gerade die Staaten, für deren Bürger der Libra am interessantesten sein könnte – etwa in der inflationsgeplagten Türkei –, dürften am wenigsten Interesse daran haben, dass eine leicht zugängliche Parallelwährung entsteht, die sich durch die staatliche Geldpolitik nicht beeinflussen lässt“, erklärt Hartmut Giesen.

Eine der größten Hürden für den Libra-Erfolg dürfte nach Meinung von Hartmut Giesen Facebook selbst sein: „Es gibt wenig Zweifel daran, dass Facebook technisch das Libra-System aufbauen kann. Doch gerade beim Thema Datennutzung schlägt Facebook schon heute ein großes Maß an Misstrauen entgegen.“ Die Verbindung der bereits auf den Plattformen kursierenden Daten mit den dann verfügbaren weltweiten Zahlungsdaten sorgt für große Befürchtungen, was Facebook mit dem Wissen, das aus der Vernetzung der Daten entsteht, wohl anstellen werde – auch wenn im Whitepaper ausdrücklich betont wird, dass Finanz- und Personendaten getrennt voneinander gehalten werden.

Nicht zuletzt widerspreche das Facebook-Konzept dem, was die Krypto-Community mit der Erfindung des Bitcoin eigentlich erreichen wollte: ein offenes dezentrales Zahlungssystem. „Mit Libra wird man nun ein multizentrales Währungsnetzwerk in der Hand eines Konsortiums kommerzieller Privatunternehmen haben“, sagt Hartmut Giesen.

Fazit: Die Umrisse der Blockchain-Revolution werden sichtbar

Nach Meinung von Hartmut Giesen wird es im Zuge der Libra-Lancierung eine Reihe von  Nebeneffekten geben, ganz gleich, ob Libra ein Erfolg werde oder nicht. „Mittelfristig werden Milliarden Menschen zum ersten Mal mit Kryptowährungen in Berührung kommen und sehen, dass es sich nicht um geheimnisvolle, risikoreiche Zahlungsmethoden aus den dunklen Untiefen des Internets handelt“, sagt Giesen. Deshalb sei damit zu rechnen, dass nach einer angemessenen Lernkurven-Zeit viele Menschen auch auf das „Original“, den Bitcoin, zugreifen könnten. Zudem könnte Libra als Blaupause für die Entwicklung einer Vielzahl weiterer Stablecoins auch für andere Anwendungsfälle fungieren. Auch die generelle Regulierung von Kryptowährungen sollte vom Facebook-Projekt profitieren, da Staaten allein aufgrund der hohen Verbreitung des Libra-Tokens schnell aufsichtsrechtlich Klarheit schaffen müssten.

Insgesamt lasse Facebooks Libra die Umrisse der bisher nur prophezeiten Blockchain-Revolution des Bankings erkennen: „Erstmals erscheint die reale Möglichkeit, dass ein Banken- und Staaten- unabhängiges Zahlungssystem entsteht, auch wenn es nicht wirklich dezentral und unabhängig ist“, erklärt Hartmut Giesen.

(Sutor Bank)

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