Wirtschaft

Humankapital: Die unterschätzte Ressource in der Unternehmensbewertung

Investoren haben in den letzten Jahren um nachhaltigen Unternehmenserfolg zu eruieren ihre Aufmerksamkeit vermehrt auf Umwelt- und Governance-Faktoren gelegt. Angesichts der Dynamik auf dem Arbeitsmarkt rücken soziale Aspekte zunehmend in den Fokus, meint Petra Daroczim Comgest..

Petra Daroczi © Comgest

Aktuelle Ereignisse wie der weltweite Stellenabbau bei Tesla verdeutlichen die Relevanz dieses Wandels. Petra Daroczi, ESG-Analystin bei der Fondsboutique Comgest, erläutert anhand des Elektromotoren-Giganten WEG und des Herstellers von Vakuumventilen VAT wie sich die menschliche Komponente messen lässt und inwieweit der Umgang mit den Mitarbeitenden Aufschluss über die Wachstumsaussichten eines Unternehmens gibt.

Tesla, der weltweit größte Hersteller von Elektrofahrzeugen, baut über 10 Prozent seiner Belegschaft ab und wichtige Führungskräfte verlassen das Unternehmen nach und nach – solche Schlagzeilen sind mittlerweile keine Ausnahme mehr.

Im wirtschaftlichen Umfeld der letzten Jahre, geprägt von Rekordinflation und anderen Unsicherheiten, stehen viele Unternehmen unter Druck, ihre Kosten zu senken. Wie ein Unternehmen in solchen Situationen reagiert, spricht für uns als ESG-Analysten Bände. Im sozialen Spektrum gibt es immer noch kein geeignetes Äquivalent für das sogenannte Netto-Null-Ziel im Umweltbereich. Nachdem der Umgang mit Mitarbeitenden für uns aber ein erfolgskritischer Faktor in jedem Unternehmen ist, haben wir nach einer geeigneten Messmethode gesucht.

„Human CapEx“ als Investition in die Zukunft

Unternehmen erfassen ihre Investitionsausgaben („CapEx“ bzw. „Capital Expenditure“) und weisen sie in einer Cashflow-Rechnung sowie einer Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) aus. Hierbei werden allerdings nur Sachinvestitionen berücksichtigt, wie der Kauf oder die Wartung von Maschinen. Die Investitionen in Personal („Human CapEx“) werden dagegen in vielen GuV-Aufstellungen nicht separat erfasst, sondern lediglich als Kostenfaktor berücksichtigt.

Wenn wir im Rahmen unseres Investmentprozesses Unternehmen betrachten, versuchen wir, die tatsächlichen Investitionen in die Belegschaft zu identifizieren. Bietet das Unternehmen angemessene Löhne und Sozialleistungen? Qualifiziert es sein Personal durch Schulungen? Bietet es Weiterbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen, um die „Führungskräfte von morgen“ zu fördern und an sich zu binden? Sachinvestitionen bewirken in der Regel eine Steigerung der Produktivität und sollten zu einem geringeren Materialeinsatz und zu weniger Ausfällen führen. In ähnlicher Weise verfolgt eine angemessene Investitionspolitik im Personalbereich dasselbe Ziel: Sie motiviert die Mitarbeitenden, steigert deren Produktivität und reduziert die Fluktuation, was dem Unternehmen einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil verschaffen kann.

WEG: Talente-Schmiede mit Gewinnbeteiligung

Ein gutes Beispiel ist WEG – ein weltweit führender Hersteller von Elektromotoren, der sich durch wegweisende Talentförderung und Mitarbeiterbeteiligung auszeichnet. Mit über 39.000 Mitarbeitern in 37 Ländern legt das brasilianische Unternehmen einen Fokus auf sein Trainingscenter „CentroWEG“, das Nachwuchskräfte im Alter von 16 bis 18 Jahren mit technischen Fähigkeiten ausstattet und sie dazu ermutigt, eine Karriere im Unternehmen anzustreben. Seit 1968 haben sich 48 Prozent der Absolventen für diesen Weg entschieden und unter ihnen sind mittlerweile 122 Personen in Führungspositionen tätig.

Zusätzlich bietet WEG seiner Belegschaft je nach Zielerreichung eine Beteiligung am Nettogewinn von bis zu 12,5 Prozent. Diese Maßnahme, sowie weitere Benefits, wie Lebens- und Krankenversicherungen, stärken das Zugehörigkeitsgefühl und die Attraktivität als Arbeitgeber.

VAT: Innovationskraft durch Personalstrategie

Bei der Schweizer VAT Group, weltweit führender Anbieter von Vakuumventilen für die High-Tech-Fertigung, wird die Technologieführerschaft durch eine zukunftsorientierte HR-Strategie gestützt. Die hohe Komplexität der Produkte erfordert ein hohes Maß an Fachwissen von engagierten und sachkundigen Ingenieuren. Durch Investitionen von rund 50 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung in den letzten beiden Geschäftsjahren schafft VAT ein starkes Innovationsumfeld, das hochqualifizierte Fachkräfte anzieht.

Die enge Zusammenarbeit mit führenden Ingenieur-Universitäten erweitert den Talentpool zusätzlich. Schulungsprogramme und finanzielle Unterstützung für Weiterbildungen fördern das bestehende Team. Diese Maßnahmen schlagen sich in einer niedrigen Fluktuationsquote von 14 Prozent (2023) nieder und unterstreichen die starke Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen.

Stabiles versus aggressives Wachstum

Es zeigt sich also, dass Investitionen in Humankapital genauso wie Sachinvestitionen Rückschlüsse auf die Produktivität und Unternehmenskultur ermöglichen. Mitarbeitende sind daher aus unserer Sicht ein erheblicher Faktor für die Bewertung der Qualität und der zukünftigen Wachstumsaussichten des Unternehmens.

Schnell wachsende Unternehmen wie Tesla sind bekannt dafür, aggressiv zu expandieren und dabei oft große Mengen an Kapital in das Wachstum zu investieren. Dies kann sich in schnellen Einstellungen und Entlassungen sowie einer starken Fokussierung auf kurzfristige Ziele manifestieren. Im Gegensatz dazu legen Qualitätswachstumsunternehmen, die wir gezielt ausfindig machen, Wert auf eine langfristige Perspektive und die nachhaltige Entwicklung ihrer Belegschaft. Sie investieren gezielt in talentierte Mitarbeitende und fördern deren Entwicklung und Bindung an das Unternehmen, da sie, wie wir, davon überzeugt sind, dass hochqualifizierte und engagierte Teams der Schlüssel zum langfristigen Erfolg sind.

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