Die Experten von J.P. Morgan Asset Management erwarten, dass sich an der seit einigen Wochen vorherrschenden Volatilität und Unsicherheit an den Kapitalmärkten vorerst nicht viel ändern wird. „Die Zahlen der konjunkturellen Frühindikatoren sind Stück für Stück etwas schlechter geworden“, betont Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt. „Das lässt vermuten, dass eine Schwächephase in der Wirtschaft droht. Auch die aktuellen politischen Risiken, seien es die italienischen Haushaltspläne, der Brexit oder die Gemengelage rund um den Handelsstreit zwischen den USA und China, haben Anleger verunsichert“. Und auch wenn er ausführt, dass die Rezessionsrisiken für die nächsten zwölf Monate gering sind und weder Italiens Budget noch die britische Brexit-Diskussion zu größeren Verwerfungen an den Märkten führen dürften, sollten Anleger angesichts der höheren Volatilität in der Zyklus-Spätphase in Betracht ziehen, ihr Portfolio etwas defensiver auszurichten. In seiner Vorstellung des aktuellen Guide to the Markets für das vierte Quartal 2018 erläuterte Galler, wie gefährlich das nachlassende Wirtschaftswachstum tatsächlich ist, inwieweit höhere Zinsen Anlass zur Sorge bereiten sollten und welche Risiken es speziell für das Wachstum in Europa und Asien gibt.
Weniger Wachstum in den USA
Das US-Wirtschaftswachstum ist laut Galler aufgrund des Fiskalstimulus immer noch „auf Steroiden“, befinde sich aber inzwischen in einem weit fortgeschrittenen Stadium des Konjunkturzyklus. „Das Vertrauen der Verbraucher ist derzeit nahezu euphorisch und das steigende Lohnwachstum dürfte sich weiter stimulierend auswirken“, so der Stratege. Doch auf Unternehmensseite werden die Schwierigkeiten bereits sichtbar: Die Arbeitskosten steigen und es ist angesichts einer historisch niedrigen Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent im September immer schwieriger, geeignete Fachkräfte zu finden. „Wir gehen davon aus, dass das Wachstum der US-Wirtschaft in den kommenden Quartalen unter 3 Prozent fallen dürfte und sich damit dem Trendwachstum von knapp 2 Prozent nähern wird“, analysiert Galler. Rezessionsrisiken dürfte es nach seiner Ansicht frühestens erst Ende 2019 geben, wenn einige fiskalpolitische Maßnahmen auslaufen. Diese Gegenreaktion könnte allerdings hinausgezögert werden: „Sollten die Republikaner bei den Wahlen zum Repräsentan-tenhaus am 6. November ihre Mehrheit verteidigen, könnten sie zusätzliche Anreize setzen, um die drohende fiskalische Klippe hinauszuzögern und damit die nächsten Präsidentschaftswahlen 2020 nicht zu gefährden“, sagt Galler.
So dürfte die US-Notenbank (Fed) weiter Kurs halten und die quartalsweisen Zinserhöhungen fortsetzen: „Aus unserer Sicht wird die starke wirtschaftliche Aktivität in den USA voraussichtlich dazu führen, dass die Federal Reserve die Zinsen weiterhin um ungefähr 25 Basispunkte pro Quartal erhöht, bis ein Zinsniveau von 3 Prozent erreicht ist“, sagt Galler.
Exportflaute der Eurozone
In der Eurozone hat das Wirtschaftswachstum noch deutlicher an Fahrt verloren. Als eine der Hauptursachen sieht Tilmann Galler den fallenden Wachstumsbeitrag der Nettoexporte unter anderem wegen der nachlassenden Nachfrage aus China und anderen Schwellenländern an. Die Situation sei aber nicht besorgniserregend, da es durchaus einige positive Faktoren gebe. Für die Industrie sei es etwa förderlich, dass das Kreditwachstum von Nicht-Finanzunternehmen solide wächst und dass auch die Finanzierungskosten weiterhin niedrig sind. Auch eine mögliche Deeskalation der Handelsbeziehungen zu den USA dürfte hilfreich für das weitere Wirtschaftswachstum sein. „Ein wichtiger Treiber für den Konsum in der Eurozone ist das Lohnwachstum, das dem steigenden Ölpreis als potenzielle Konsumbremse signifikant entgegenwirkt. Sollte sich das Wachstum in Abwesenheit eines politischen Schocks bei knapp unter 2 Prozent stabilisieren, könnten die Leitzinsen in der zweiten Jahreshälfte des kommenden Jahres etwas schneller steigen als dies die Märkte erwarten“, führt Galler aus.
Der Experte identifiziert aktuell in Europa zwei Themen mit potenziellen Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. Mit Blick auf die italienischen Budgetpläne sieht er aktuell kein erhöhtes Risiko und an den Anleihenmärkten gab es bereits eine gesunde Reaktion. „Der Markt hat die Situation in Italien mit einem Risikoaufschlag belegt. Der Budgetstreit mit Italien dürfte wenig Potenzial für eine weitere Finanzkrise haben,“ betont Galler. Mit Blick auf Großbritannien beurteilt Tilmann Galler die Risiken für die britische Binnenwirtschaft als deutlich höher als für die Eurozone insgesamt. Auch wenn noch in der Schwebe sei, ob es einen harten oder einen weichen Brexit gebe, zeigten sich in Großbritannien bereits ganz konkrete Folgen des bevorstehenden EU-Austritts. „Das Wirtschaftswachstum in Großbritannien hat sich seit dem Referendum deutlich verlangsamt, während es in anderen Ländern stabil geblieben ist. Auch weist das Verbrauchervertrauen nach dem Brexit-Votum ein eindeutig negatives Momentum auf“, führt Galler aus.
Keine harte Landung in China
In China gibt es ebenfalls klare Anzeichen für ein nachlassendes Wachstumsmomentum. Die straffere Geldpolitik und die Regulierung des Schattenbankenwesens im ersten Jahresdrittel hat Spuren in der Wachstumsdynamik hinterlassen. Seit Mai ist das chinesische Wachstum durch die Verschärfung des Handelskonflikts mit den USA einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt. „Dennoch sollten man für China nicht zu schwarz sehen“, unterstreicht Galler. Die chinesische Regierung habe einen monetären Stimulus in Form einer lockeren Geldpolitik gesetzt und aktuell sei ein weiterer Fiskalstimulus durch erhöhte Infrastrukturinvestitionen zu erwarten. Diese Maßnahmen sollten das Wachstum in 2019 stabilisieren. „Wir rechnen nicht mit einer harten Landung in China“, ergänzt er.
In Japan geben zur Zeit die steigenden Reallöhne Hoffnung auf eine Erholung im Konsum und ein anhaltend robustes Wachstum in den kommenden Quartalen. Erst im Hinblick auf den kommenden Herbst könnte es turbulent werden, sollte die Regierung mit ihrer Absicht ernst machen, den Mehrwertsteuersatz im Oktober 2019 zu erhöhen.
Aktien-Anleihen-Quote überdenken
Die Aktienbewertungen wirken nach Ansicht von Tilmann Galler je nach verwendeter Kennzahl etwas überteuert. Steigende Anleiherenditen forderten dabei ebenfalls ihren Tribut. Im historischen Maßstab hätten Aktien aber nach wie vor einen Renditevorsprung gegenüber Anleihen. „Aktien sind derzeit moderat überbewertet, aber wir sehen keine exzessiven Bewertungsrisiken wie etwa Ende der neunziger Jahre“, sagt Tilmann Galler. Kritisch dürfte es für Aktien allerdings werden, wenn die US-Notenbank Fed von ihrem Erhöhungszyklus pausieren sollte.
Mit Blick auf das Anleihensegment bringen die steigenden Zinsen die Anleihenkurse unter Druck. Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen durchbrach sogar die Marke von 3 Prozent. Nach Ansicht von Tilmann Galler haben US-Staatsanleihen aufgrund der zunehmenden Reife des Zyklus besonders aus der Perspektive des Risikomangements an Attraktivität gewonnen, da sie sich nach den Erfahrungen früherer Zyklen als Portfolio-Stabilisator erwiesen haben, sobald der Bullenmarkt zu Ende geht. Dennoch gibt es auch bei den Festverzinslichen noch einen Bereich, in dem sich von der aktuellen Ertragsstärke der Unternehmen profitieren lässt: Hochzinsanleihen, insbesondere in Europa, sind aufgrund ihres relativ hohen Risikoaufschlags von 4 Prozent bei aktuell kaum vorhandenen Zahlungsausfällen attraktiv. Zusätzlich bieten Hochzinsanleihen aufgrund der kürzeren Laufzeit einen gewissen Schutz gegenüber weiter steigenden Zinsen.
„Auch wenn die Aussichten für Risikoanlagen zumindest verhalten positiv erscheinen, sollten sich Anleger im jetzigen Kapitalmarktzyklus verstärkt Gedanken über eine defensivere Ausrichtung ihres Portfolios machen“, sagt Tilmann Galler. Das hieße, die Aktienquote etwas zu verringern, die Zyklik innerhalb des Aktiensegments zu reduzieren und bei festverzinslichen Wertpapieren auf mehr Stabilität zu setzen.
(J.P. Morgan Asset Management)