Wirtschaft

Jackson Hole: Die Zeit der Winterstarre ist vorbei

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE

pasja1000 / Pixabay

Am 26. August 2022 betrat der Präsident der US-Notenbank die Bühne der Jackson Hole Lodge im Nationalpark „Grand Tenton“ (Wyoming), wo das alljährliche Sommercamp der Zentralbanker stattfand. Mit seiner knapp neunminütigen Ansprache stürzte er die Märkte in ein tiefes Loch: Er kündigte geldpolitische Daumenschrauben an mit dem Ziel, die Inflation in den Griff zu bekommen, die seinen Worten zufolge andernfalls langfristig noch leidbringender wäre. In den darauffolgenden sechs Wochen verlor der Index S&P 500 12 %. Die 10-jährigen US-Zinssätze stiegen innerhalb von zwei Monaten von 3 % auf über 4,2 %. Seitdem gingen die Aktivitäten auf dem US-Immobilienmarkt mit historischem Tempo zurück und die Wirtschaftstätigkeit im Fertigungssektor brach ein.

Zentralbanken verkünden Zinsanhebungen und die Märkte applaudieren

Fünf Monate später, am 1. Februar 2023, ergreift derselbe Präsident am Ende der Sitzung des geldpolitischen Ausschusses in Washington erneut das Wort. Er bleibt seinem Schlachtplan treu und kündigt die x-te Zinsanhebung an, legt die Obergrenze des Leitzinses auf 4,75 % fest und gibt zu verstehen, dass das noch nicht das Ende sei. Überdies läuft die Bilanzverkürzung der Zentralbank auf vollen Touren.

Doch die Aktien- und Anleihenmärkte applaudieren, wie auch am darauffolgenden Tag nach der Sitzung der Europäischen Zentralbank, die den Referenzzinssatz um 50 Basispunkte anhebt und eine weitere Anhebung vom selben Ausmaß für den nächsten Monat ankündigt. Damit wird ihr Zinssatz im März auf 3 % klettern, während er im Juli 2022 mit -0,5 % noch im negativen Bereich lag.

Sollten die Märkte paradoxerweise die straffere Geldpolitik zu schätzen wissen?

Ja, aber nur unter einer Bedingung: Der Kampf gegen die Inflation muss als gewonnen angesehen werden und es muss die Aussicht auf eine Deeskalation im geldpolitischen Krieg bestehen – auch wenn dies von den Zentralbankern nicht offiziell erwähnt werden kann.

Genau so verhält es sich gerade mit der Stimmung auf dem Markt: Es wird damit gerechnet, dass ein Sieg gegen den Höhenflug der Preise kurz bevorsteht. Erkennbar ist dieser bereits an der Entwicklung der US-Inflation, die inzwischen von 9 % (Juni 2022) auf 6,5 % (Dezember 2022) zurückgegangen ist. Weniger augenfällig ist die Lage in Europa, doch auch dort ist die Inflation von 10,6 % im Oktober 2022 auf geschätzte 8,5 % im Januar gesunken. Der Basiseffekt für die kommenden Monate, der mit dem ersten Jahrestag des Krieges in der Ukraine zusammenfällt, spricht zwangsläufig für einen Rückgang.

Märkte in Feierlaune – trotz Risiken!

Zum Teufel mit der Vorsicht der Zentralbanker, mit ihren Prognosen einer weiter steigenden Inflation oder mit ihren Lektionen aus der Vergangenheit! Der Markt feiert den Sieg. Nach dem geldpolitischen Winter kriecht er aus dem Loch hervor, in das die Rede von Jackson Hole ihn gestoßen hatte. Diese Feierlaune birgt allerdings Risiken, denn noch ist nichts in trockenen Tüchern. Allerdings belohnt der Markt diejenigen, die zuerst handeln und bereit sind, dabei Risiken einzugehen. Die Vorsichtigen gehen am Ende so gut wie leer aus.

Das gilt umso mehr, als das Risiko letztendlich gar nicht so groß ist. Wenn die Inflation in den kommenden Monaten wieder auf ein vernünftigeres, wenn auch von den gemeinhin geforderten 2 % noch weit entferntes Niveau sinkt, dürften die Leitzinsen und die langfristigen Zinssätze nämlich wieder fallen. Denn die realen Zinsen – d. h. die um die Inflation bereinigten nominalen Zinsen – können in unseren Systemen, die sich nur durch Schulden über Wasser halten, nicht dauerhaft positiv bleiben. Die Last der realen Zinsen würde für alle Akteure – und zuallererst für die Staaten – untragbar. Doch bei Leitzinsen, die in den USA ihren Höhepunkt bei knapp 5 % erreichen sollen, wenn die Inflation dauerhaft unter dieses Niveau sinkt, würden die realen Zinsen kurzer Laufzeiten positiv. Die Fed könnte dann nur schwer tatenlos bleiben. Glücklicherweise verfügt sie über ein wenig Spielraum, da ihre langfristigen Zinsen erst bei 3,5 % liegen. Die Schwelle einer im Verhältnis zu den Zinsen zu geringen Inflation ist an diesem Ende der Kurve noch lange nicht erreicht.

Wenn sie nicht von anderen Sorgen heimgesucht werden – etwa von den Folgen einer hausgemachten Konjunkturschwäche insbesondere bei Aktien – erleben die Zentralbanker ihr nächstes Sommercamp vielleicht eher als gemütlichen Lagerfeuerabend denn als eine Vorbereitung auf die nächste große Schlacht. Es wird Zeit, dass sie und auch die Märkte aus der Winterstarre von Jackson Hole erwachen.

(LFDE)

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