Die bisherigen Mandatsdauern der Aufsichtsratsmitglieder liegen überwiegend deutlich unter dem EU-Richtwert von 15 Jahren, so dass die von der Corporate-Governance-Kommission unterstellte eingeschränkte Selbsterneuerungsfähigkeit der Gremien nur in Einzelfällen zu vermuten ist. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung der FOM Hochschule. Für die Studie wurden die bisherigen Mandatsdauern aller Aufsichtsratsmitglieder der Unternehmen in den wichtigsten deutschen Aktienindizes DAX und MDAX durch den Corporate-Governance-Experten Prof. Dr. Peter Ruhwedel untersucht, Wissenschaftlicher Leiter des KompetenzCentrums für Unternehmensführung und Corporate Governance an der FOM Hochschule und Geschäftsführer des DIEP Deutsches Institut für Effizienzprüfung.
- Corporate-Governance-Kommission und Investorenvertreter verlangen zeitliche Begrenzungen von Aufsichtsratsmandaten, um Selbsterneuerungsfähigkeit und Unabhängigkeit der Gremien sicherzustellen.
- Aktuelle Untersuchung der bisherigen Mandatsdauer der Aufsichtsräte in den DAX- und MDAX-Gesellschaften kann systematisches Risiko einer mangelnden Selbsterneuerungsfähigkeit und fehlenden Unabhängigkeit nicht bestätigen.
- Insgesamt neun Aufsichtsratsvorsitzende im DAX widersetzen sich Investorenanforderungen und sind über zwölf Jahre im Amt.
- Abhängig von ihrer individuellen Situation sollten Unternehmen auf die von der Corporate-Governance-Kommission verlangte Festlegung einer Regelmandatsdauer verzichten und vom Kodex abweichen.
Aufsichtsrats- und Prüfungsausschussvorsitz erfordern längere Einarbeitungszeiten
DAX-Aufsichtsratsvorsitzende sind durchschnittlich 7,7 Jahre (MDAX 7,2 Jahre) im Amt, der Finanzexperte gem. § 100 Abs. 5 AktG kommt auf eine Durchschnittsdauer von 7,9 (DAX) bzw. 6,2 Jahren (MDAX). „Längere Mandatsdauern sind vor dem Hintergrund der hohen Anforderungen an Aufsichtsrats- und Prüfungsausschussvorsitzende sowie die notwendige Einarbeitungszeit angemessen“, so Professor Peter Ruhwedel. „Mechanistische Regelungen, die unternehmensindividuelle Rahmenbedingungen vernachlässigen, halte ich nicht für sinnvoll.“ So würde etwa die Anwendung der BVI-Analyseleitlinien dazu führen, dass im DAX neun Aufsichtsratsvorsitzende (MDAX: zwölf) und fünf Prüfungsausschussvorsitzende (MDAX: sieben) ersetzt werden müssten, da die Richtlinien eine Höchstmandatsdauer von “in der Regel zwölf Jahren“ vorsehen. Dies ist jedoch häufig weder im Interesse der Investoren noch der Unternehmen.
Extreme Mandatsdauern von bis zu 32 Jahren müssen vermieden werden
In der Mehrzahl der Gremien sind die Mandatsdauern der Mitglieder breit gestreut, so dass sich sowohl Mitglieder mit langer Unternehmenserfahrung als auch solche mit neuen Perspektiven finden. Sowohl einzelne Anteilseigner- als auch Arbeitnehmervertreter weisen jedoch sehr hohe Mandatsdauern von bis zu 32 Jahren auf, die problematisch sein können.
Auch eine geringe Zahl von Gremien weist hohe durchschnittliche Mandatsdauern von bis zu 14 Jahren auf. „Solche Konstellationen können die erfolgreiche Neuaufnahme von Aufsichtsratsmitgliedern erschweren, da häufig eine intensive Gruppenkohäsion im Gremium besteht“, erläutert Professor Ruhwedel. „Zudem ist dies ein Hinweis auf die fehlende Selbsterneuerungsfähigkeit eines Gremiums. Extreme durchschnittliche Mandatsdauern sollten vermieden werden.“
Aktionäre müssen den Pool geeigneter Frauen vergrößern
Die durchschnittliche Mandatsdauer männlicher Aufsichtsratsmitglieder im DAX liegt mit 6,3 Jahren deutlich über der von Frauen (4,5 Jahre). Mit der Einführung der Frauenquote ist jedoch perspektivisch eine Angleichung zu erwarten. Die Frauen auf der Anteilseignerbank der DAX-Unternehmen verfügen dabei im Schnitt noch über eine geringere Mandatserfahrung als die Arbeitnehmervertreterinnen. Zudem liegen insbesondere im DAX viele Mandate in der Hand weniger Frauen, so dass der Kandidatinnen-Pool deutlich erweitert werden sollte.
Stärkung der Abweichungskultur vom Kodex erforderlich
Aufgrund der festgestellten durchschnittlichen Verweildauern sowie der Heterogenität der bisherigen Mandatsdauern in den einzelnen Gremien kann die empirische Analyse die These einer mangelnden Selbsterneuerungsfähigkeit der Gremien nicht bestätigen. Da die durchschnittliche Verweildauer deutlich unter den existierenden Richtwerten liegt, ab denen Aufsichtsratsmitglieder nicht mehr als unabhängig gelten, scheint auch das Risiko einer aus zu langen Mandatsdauern eingeschränkten Unabhängigkeit der Gremien gering zu sein. „Eine Regelgrenze für die Zugehörigkeitsdauer zum Aufsichtsrat birgt das Risiko, faktisch als Höchstmandatsdauer zu wirken“, erläutert Professor Ruhwedel. „Unternehmen sollten daher ihre individuelle Situation kritisch bewerten und möglichst auf eine solche Festlegung verzichten.“ Dies erfordert jedoch eine stärkere Abweichungskultur vom Kodex, die in der Vergangenheit von der Kommission selbst nicht hinreichend gefördert wurde.
Verbesserung der Transparenz und Selbstreflexionsfähigkeit der Aufsichtsräte erforderlich
Aufsichtsräte stehen vor der Herausforderung, die Eignung, Leistung und Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder zu gewährleisten. Dies sollte nicht mit Hilfe einer mechanistischen Regelgrenze sondern auf Basis einer regelmäßigen, systematischen und transparenten Effizienzprüfung des Aufsichtsrats erfolgen. Darüber hinaus ist es erforderlich, die Transparenz über das Evaluierungsvorgehen und die Ergebnisse für die Aktionäre zu erhöhen, damit diese bei möglichen Defiziten gezielt auf das Unternehmen einwirken können. So können auch Fragen der Unabhängigkeit ohne die Festlegung einer Regelgrenze für die Zugehörigkeit sinnvoll adressiert werden.