Nach einem ereignisreichen Kapitalmarktjahr 2020, das durch die Covid-19-Pandemie geprägt war und alle vorigen Einschätzungen widerlegt sowie soziale wie wirtschaftliche Super-Trends verstärkt hat, wollen wir einen etwas anderen Blick ins neue Jahr wagen: Mit drei Szenarien, die generell unter dem Radar liegen und bitte nicht als unsere offizielle Sicht auf die Märkte verstanden werden sollten. Wir möchten vielmehr über den Tellerrand blicken – und zum Nachdenken anregen.
Die Erwartungen an 2021 sind sehr hoch. Die vergangenen drei Jahre waren durch eine Konjunkturschwäche geprägt, die letztendlich mit der Covid-19-Pandemie ihren Tiefpunkt fand. Durch die massiven fiskal- und geldpolitischen Unterstützungsprogramme und den Durchbruch bei der Impfstoff-Entwicklung im November dieses Jahres ist eine konjunkturelle Erholung im nächsten Jahr Markt-Konsens und nahezu ausgemacht. Bei ihren Prognosen für das Wirtschaftswachstum und die Aktienmarktentwicklung überbieten sich die Investmenthäuser und Analysten. Wir gehen ebenfalls von einer konjunkturellen Erholung im nächsten Jahr aus. Dabei glauben wir, dass diese Entwicklung alles andere als linear erfolgen wird – und es im Verlauf des Jahres zu Rückschlägen an den Märkten kommen kann. Allerdings ist ein Kapitalmarktjahr lang. Wie auch in diesem Jahr kann ein Ereignis alle Erwartungen über Bord werfen.
Drei teils zugespitzt formulierte Thesen:
1. Der Covid-19-Impfstoff rettet Menschenleben – tötet aber Unternehmen
Die Pandemie hat den eingeschlagenen Weg der Zentralbanken seit der Finanzkrise 2008/09 nochmals verstärkt. Der Ankauf von Billionen Euro an Assets hat dazu geführt, dass die Renditen von Staatsanleihen und Investmentgrade-Unternehmensanleihen neue Tiefststände erreicht haben. Investoren sind gezwungen immer größere Risiken einzugehen, um entsprechende Zielrenditen zu erzielen. Sie investieren verstärkt in Hochzins-Anleihen von Unternehmen mit einer fragwürdigen Bonität. Die durch den Impfstoff eingeleitete Konjunktur-Erholung sollte Unternehmen mit einer schwachen Bonität unterstützen.
Doch die Realität sieht anders aus. Die massiven Unterstützungsmaßnahmen gepaart mit dem Konjunktur-Boom in 2021 führt zu einer Überhitzung der Wirtschaft. Die Inflation steigt rapide an. Die nachlassende Unterstützung seitens der Zentralbanken führt zu steigenden Renditen bei langen Laufzeiten. Unternehmen, die nur durch die extrem niedrigen Finanzierungsmöglichkeiten überlebensfähig waren, müssen in der zweiten Hälfte des Jahres Insolvenz anmelden. Trotz Konjunktur-Erholung steigen die Ausfallraten bei Hochzins-Unternehmensanleihen.
2. Schuldenkrise 2.0: Deutschland übernimmt explizite Haftung für Europa
Unser Wirtschaftssystem basiert auf einem schuldenfinanzierten Wachstum. Dieses System kann bis zu einem gewissen Punkt ausgereizt werden, ab dann überwiegen die Nachteile. Seit der Finanzkrise haben sich die globalen Schuldenstände nahezu verdoppelt. Die erste europäische Schuldenkrise hat Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und Irland ins Visier genommen. Einige Länder haben in den vergangenen Jahren zum Teil strukturelle Veränderungen vorgenommen. Andere Länder wie Italien genießen eher die günstigen Finanzierungsmöglichkeiten, welche die EZB bereitstellt und unternehmen keinerlei Anstrengungen.
Es gibt einen neuen „kranken Mann Europas“: Frankreich. Der Verschuldungsgrad der privaten Haushalte wird aufgrund der Covid-19-Pandemie auf 140% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) steigen. Die Staatsverschuldung erreicht ein Niveau von 120% des BIP. Aufgrund weiterer Lockdown-Maßnahmen und ständiger fiskalpolitischer Unterstützung durch die Regierung in Paris beginnt der Markt an der Schuldentragfähigkeit Frankreichs zu zweifeln. Die Renditen für französische und weitere südeuropäische Länder steigen stark an. Die Bonität der Rettungsprogramme EFSF und ESM wird ebenfalls angezweifelt. Die EZB kann durch weitere Anleihekäufe keine Stabilisierung herbeiführen. Deutschland bleibt keine andere Wahl als die explizite Garantie für die Schulden der Eurozone auszusprechen. Aus der Europäischen Union würde eine Transferunion.
3. Digitalisierung macht Arbeiten obsolet – Grundeinkommen kommt
Die Corona-Krise hat Digitalisierungsprozesse nochmals beschleunigt. Die harten und leichten Lockdowns haben die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Aus Präsenzterminen und globalen Flugreisen wurden Videokonferenzen. Aus Bürotätigkeit wurde zum Großteil Homeoffice. Die Industrie wird ebenfalls ihre Lehren aus diesem Jahr ziehen und die Automatisierung stärker vorantreiben, um unabhängig von der Gesundheitssituation ihrer Angestellten und verhängten Lockdowns produzieren zu können.
Diese Entwicklung bleibt nicht ohne Auswirkungen. Eine Studie der Oxford-Universität geht davon aus, dass durch künstliche Intelligenz, Automatisierung und Globalisierung zwei Milliarden Jobs weltweit und 50% der Stellen in den USA wegfallen könnten. In der gleichen Zeit steigt der wirtschaftliche Output, selbst in der Pro-Kopf-Betrachtung. Um sozialen Unfrieden zu vermeiden wird das Grundeinkommen eingeführt. Menschen, die trotz guter Bildung keinen Arbeitsplatz erhalten können, werden durch eine Transferzahlung entlohnt. Diese Systemveränderung hat gravierende gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen. Die Städte haben Überkapazitäten bei Bürogebäuden, die in diesem Szenario nicht mehr genutzt werden. Zudem sind die Menschen nicht mehr gezwungen in den überteuerten Städten zu leben. Viele ziehen aufs Land und widmen sich in der nun frei gewordenen Zeit der Bildung und Kultur.
Unterm Strich: Dieser Blick über den Tellerrand hat in Summe geringe Eintritts-Wahrscheinlichkeiten, zumindest für 2021. Allerdings hat auch für 2020 im Vorfeld niemand mit einer globalen Pandemie gerechnet. Der daraus resultierende Paradigmen-Wechsel wird das nächste Jahrzehnt weiter prägen.
(Investment AG)