Das Ereignis stand zwar lange Zeit im Schatten der Wahl des neuen US-Präsidenten einen Monat zuvor, kam aber in der letzten Woche doch verstärkt auf die Tagesordnung der Börsianer. Die allgemeine Erwartung lag auf einer Ablehnung des Vorhabens und damit einhergehend dem Rücktritt Renzis als Ministerpräsident. Genau so kam es.
Vorerst keine negativen Auswirkungen an den Börsen
Anders als erwartet, gab es jedoch kein Börsenbeben. Im Gegenteil: im Laufe des Montagvormittags stiegen Aktien und der Euro deutlich an. Die Zinsen für Bundesanleihen setzten ihren bereits seit Oktober bestehenden Anstieg fort. Italienische Staatsanleihen notierten nur marginal höher als in der Vorwoche. Offensichtlich wurden die potenziellen negativen Auswirkungen des Referendums auf die Börsen bereits vorher eingepreist. Wer auf weiter fallende Aktiennotierungen gesetzt hatte, musste sein Fehlkalkül schnell korrigieren und Aktien kaufen, was die Kurse zusätzlich befeuerte.
Kurzfristig hängt alles von der Regierungsneubildung ab
Das Heft des Handelns liegt nun in den Händen des italienischen Staatspräsidenten Mattarella. Er wird die Bildung einer Übergangsregierung veranlassen. Nachdem Matteo Renzi bereits abgelehnt hat, wird diesen Auftrag wahrscheinlich ein respektierter Technokrat, z.B. Wirtschaftsminister Padoan, übernehmen. Schon zwischen 2011 und 2013 hatte eine technokratische Regierung unter Mario Monti für einige Monate die Geschicke des Landes geleitet. Nur wenn die neue Regierung nicht innerhalb von 70 Tagen nach Renzis Rücktritt gebildet werden kann, müsste Mattarella vorgezogene Neuwahlen ausrufen. Da die meisten Parteien daran jedoch kein Interesse haben, ist dies nicht zu erwarten. Die Arbeit der Übergangsregierung wäre dann mit den regulären Neuwahlen im Mai 2018 beendet. Bei diesen könnten eurokritische Protestparteien wie z.B. die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo größeren Einfluss gewinnen. Vorerst sieht es aber so aus, als ob in den nächsten Monaten politisch alles in „gewohnten italienischen Bahnen“ verlaufen wird.
Trotzdem ist keine Entspannung angesagt, nicht in Italien…
Zwar ist der Börse ein vorweihnachtliches Debakel erspart geblieben, allerdings sind die bestehenden Problemfelder damit keinesfalls gelöst. In Italien sind dies vor allem eine ausufernde Staatsverschuldung mit über 130 Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt und die latente Bankenkrise. Einige italienische Großbanken stehen angesichts der schwierigen geschäftlichen Lage im Nullzinsumfeld und einem Berg fauler Kredite vor dringend notwendigen Kapitalerhöhungen. Sollten diese nicht aus eigener Kraft gelingen, kämen unweigerlich Fragen nach einer staatlichen Rettung auf, die eben von der designierten Übergangsregierung beantwortet werden müssten. Erschwerend kommt hinzu, dass gemäß den aktuellen europäischen Regelungen staatliche Beihilfen für Banken nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen möglich sind.
…und schon gar nicht in Europa
In Europa steht nach wie vor die ungelöste Staatsschuldenkrise auf der Agenda. Gleichzeitig drängt die EZB verstärkt darauf, die Rolle als Dauer-Feuerwehrmann, die sie seit 2008 inne hat, abzugeben. Ihre Mittel sind nahezu erschöpft oder wirken sich angesichts der allgegenwärtigen Nullzinsen massiv negativ auf Sparer, Unternehmen und Finanzindustrie aus. In die Bresche springen müssten die Regierungen der europäischen Teilnehmerstaaten mit dringend notwendigen Strukturreformen und zukunftsgerichteten Investitionen. Genau das kann allerdings auch in den kommenden Monaten kaum erwartet werden – nicht nur in Italien. So stehen 2017 in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland Parlamentswahlen auf dem Programm. Wahlkampfzeiten sind aber generell nicht die Zeiten reformfreudiger Regierungen. Erschwerend kommt hinzu, dass in den meisten Euro-Teilnehmerstaaten weiterhin eurokritische Kräfte auf dem Vormarsch sind.
von Carsten Mumm, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Privatbank Donner & Reuschel