Wirtschaft

Nach der Brexit-Unsicherheit ist vor der Brexit-Unsicherheit

Johnson gelingt Vereinigung von „Leave Votes“ und Brexit-Ermüdeten

TheDigitalArtist / Pixabay

Bei den Parlamentswahlen am 12. Dezember 2019 hat die Conservative Party von Premierminister Boris Johnson die absolute Mehrheit der Sitze im Unterhaus gewonnen. Die Labour Party hat ihre unentschlossene Position zum Brexit, dem alles dominierenden Thema des Wahlkampfs, vor allem im Norden des Vereinigten Königreichs viele Stimmen gekostet. Johnson ist es hingegen gelungen, sich deutlich von der vom Wahlvolk wahrgenommenen Instabilität abzugrenzen, die über die vergangenen drei Jahre hinweg durch die Debatten im Parlament aufgekommen war. Es ist ihm gelungen, nicht nur die „Leave Votes“, sondern auch die Stimmen der von dem Brexit-Gezerre Ermüdeten auf seine Seite zu ziehen. „Get Brexit done“ war der Kern seiner Kampagne, den er wie besessen wiederholte.

Aber haben wir den Brexit nun wirklich geschafft? Es ist fast sicher, dass die neu gewählte konservative Mehrheit nun für das Abkommen stimmen wird, das Johnson mit der Europäischen Union (EU) ausgehandelt hat. Damit wird das Vereinigte Königreich im Januar zwar offiziell aus der EU ausscheiden. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Brexit die Kapitalmärkte nicht auch in Zukunft beeinflussen wird. Das Abkommen, das Johnson und die EU ausgehandelt haben, verzögert nämlich de facto die dringende Entscheidung über die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Die Parteien haben nun bis zum 31. Dezember 2020 Zeit, um eine neue Regelung für den Handel zu vereinbaren. Im Klartext bedeutet das:

  • es ist möglich, dass es zu Störungen in den Wertschöpfungsketten zwischen beiden Seiten kommt,
    ein harter Brexit ist nicht auszuschließen und
  • es gibt Unsicherheiten über die künftigen politischen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, die mit einer komplexen Verhandlung verbunden sind.
  • „Wir können also davon ausgehen, dass das Thema Brexit an den Kapitalmärkten wieder an Bedeutung gewinnt, wenn wir uns dem Termin Ende 2020 nähern – ohne dass es zu einer endgültigen Einigung zwischen den Parteien gekommen ist“, sagt Richard Flax, Chief Investment Officer beim digitalen Vermögensverwalter Moneyfarm.

Abgesehen davon gibt es die Frage der Grenze zu Nordirland. Die derzeitige Rückzugsregelung (Backstop) beinhaltet die Einrichtung einer „leichten“ Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Vereinigten Königreich. Es ist zwar durchaus vernünftig zu glauben, dass die Vereinbarung durch ein neues Handelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU überwunden werden kann, allerdings könnte sich die Errichtung einer Binnengrenze in der Irischen See als riskante Angelegenheit erweisen. Johnson ist der Meinung, dass das Vereinigte Königreich über genügend Technologie verfügen, um das Arrangement auf elegante Weise umzusetzen. In einem von der „Financial Times“ veröffentlichten Whitehall-Dokument wird freilich anerkannt, dass die Umsetzung des Vorhabens bis Dezember eine „strategische, politische und operative Herausforderung“ darstellen wird.

„Alles in allem sind wir der Meinung, dass der Rückzug des Vereinigten Königreichs aus der EU weiter eine Quelle für politische Risiken an den Kapitalmärkten sein kann. Dies gilt für die Märkte innerhalb des Vereinigten Königreichs, aber zum Teil auch für die Märkte in der Eurozone. Auf der anderen Seite wird die Tatsache, dass es eine solide Mehrheit in Westminster gibt, dazu beitragen, einige Komplexität zu beseitigen und etwas Zeit zu gewinnen. Kurzfristig ist damit zu rechnen, dass das Pfund Sterling an Stärke gewinnt und möglicherweise die Indizes der FTSE-Familie steigen werden, auch als Reaktion auf die Niederlage der Labour Party, die eine Erhöhung der Körperschaftssteuer geplant hatte. Abseits vom Brexit können wir erwarten, dass die britischen Staatsausgaben im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen fünf bis zehn Jahre steigen werden. Das wird ein Faktor sein, den wir bei der Bewertung der zukünftigen britischen Vermögenswerte und Staatsanleihen berücksichtigen sollten“, so Flax.

(Moneyfarm)

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