Großbritannien hat sich entschieden. Gegen Europa. Gegen wirtschaftliche Zusammenarbeit und geteilte Verantwortung.
Nun ist es gut zu verstehen, dass der durchschnittliche EU-Bürger in erster Linie um das Wohl und die Sicherheit seiner Familie besorgt ist. Die Regierungen hatten alle Möglichkeiten, ihren Bürgern zuzuhören und die Bedürfnisse ihres Volkes zu erfüllen. – Haben sie aber nicht.
Das Verstehen wirtschaftlicher Belange kann von Max Mustermann, oder in diesem Falle Maxwell McMasterman, nicht erwartet werden.
Umso verantwortungsloser ist eben jene Handlung, die in Großbritannien vorgenommen wurde. In Zeiten von Arbeitslosigkeit, kulturellen Veränderungen und Zukunftsängsten die Einwohner des Commonwealth über unkontrollierbare Auswirkungen für die gesamte Wirtschaftsunion entscheiden zu lassen, wenngleich die Gründe für die Ablehnung der Briten gegenüber der EU auch nachvollziehbar sind, ist verantwortungslos.
Mr. McMasterman ist um seine eigene Sicherheit besorgt, auch wenn diese in einer Sackgasse liegt. Wenn er sich nun durch Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Bankenrettungsprogramme und Freihandelsabkommen in seiner Funktion als treusorgendem Familienvater bedroht fühlt, ist seine Haltung gegenüber dem Brexit gut nachvollziehbar. Er kann eben nicht aus seiner Haut.
Dass der Arbeitgeber von Mr. McMasterman die Situation anders bewertet, weil Zölle und Distributionskosten künftig den Außenhandel massiv beeinflussen könnten, wird spätestens dann für Unmut sorgen, wenn durch Kosteneinsparungen Arbeitsplätze gekürzt werden müssen.
Nicht ohne Grund gab es zum Börsenbeginn nach Bekanntgabe des Brexit massive Kursverluste. Man stelle sich vor, wieviele Stunden an Arbeitsleistung von Millionen Arbeitnehmern in Minuten vernichtet wurden. Aber diese Sichtweisen hat man ihnen nicht beigebracht. Die Regierungen straucheln, eine Stellungnahme jagt die nächste, doch was der Austritt Großbritanniens für uns, für unsere Kinder und deren Kinder wirklich bedeutet, wird weitgehend übergangen.
Eine Bestellung bei Amazon UK? Der Wochenendurlaub mit Ihrem Liebsten? Das Auslandsstudium Ihrer Tochter in London? Waren oder Dienstleistungen des Unternehmens in der Europäischen Union verkaufen? Oder gar Mitarbeiter einer Depandance eines britischen Unternehmens in Spanien sein?
Derzeit sind all diese Möglichkeiten unsicher, die sich EU-Bürger über ein halbes Jahrhundert aufgebaut haben.
Was unserer Generation derzeit selbstverständlich erscheint, wird die darauf folgenden gefühlt wieder in das Mittelalter katapultieren. Eben keine freie Entscheidung zu Job- und Wohnsituation in einer der wirtschaftskräftigsten Regionen der Welt. Wieder Grenzen, Regularien, Formalitäten…
Einzig für die Politik ist der Ausgang des Referendums ein Gewinn, denn die Verwaltung und Entwicklung grenzüberschreitender Verträge und Abkommen ist ein aufwändiger Prozess: Es ist davon auszugehen, dass sich die Neugestaltung sämtlicher Rechtsverhältnisse und Abkommen über Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte hinziehen wird. Eine gute Basis für die Wahlprogramme kommender Legislaturen und ein Jobgarant für all jene, die schon im gebauten Nest sitzen.
Zieht man als Vergleich die Abstimmung zur Selbstverwaltungsordnung Grönlands aus dem Jahre 2008 heran, so hat bereits die Neugestaltung der Handelsabkommen mit der Europäischen Union drei Jahre gedauert – obwohl es damals nur um Fisch ging.
Wir sprechen also davon, Entscheidungen getroffen zu haben, bevor das Ausmaß der Konsequenzen absehbar wird.
Abwarten – und Tee trinken
Zunächst hat David Cameron, Noch-Premier Großbritanniens, bekannt gegeben, dass er den Artikel 50, einen formalen Mechanismus, nach dem ein Mitgliedstaat die EU verlassen kann, nicht auslösen wird. Dies wird sein Nachfolger übernehmen, wenn er in frühestens drei Monaten das Amt übernommen haben wird.
Nachdem Artikel 50 dann ausgelöst wurde, treten die EU und Großbritannien in eine Verhandlungsphase, in der die konstitutionellen und rechtlichen Bedingungen sowie das rechtswirksame Datum für den Austritt vereinbart werden.
Bis zu diesem vereinbarten Austrittsdatum wird sich in Bezug auf die Regularien der Europäischen Union für uns im Wesentlichen zunächst nichts ändern.
Alle Theorien über die tatsächlichen Auswirkungen, ob positiv oder negativ, sind derzeit reine Spekulation. Fest steht nur eines: Diese Abstimmung wird unser aller Leben nachhaltig beeinflussen. Wir werden jetzt lernen müssen, auf die Konsequenzen zu reagieren. Ob Unternehmen des FTSE100, deutscher Mittelständler, David Cameron oder eben Maxwell McMasterman.
Kommentar von Nils Lennard Behrens, Online Redaktion Mein Geld