Am 21. Februar unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin ein Dekret zur Anerkennung der ukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk. Russische Truppen rückten als „Friedenstruppen“ in die beiden Gebiete ein. Diese Maßnahmen stellen eine Eskalation der Ukraine-Krise und das Ende des Minsker Rahmenabkommens von 2014 für den Frieden in der südöstlichen Donbass-Region des Landes dar. Was könnte das für die Kapitalmärkte bedeuten?
Angesichts der jüngsten Entwicklungen ergeben sich drei Schlüsselfragen:
- Wird Russland die Unabhängigkeit der gesamten Donbass-Region anerkennen? Die Separatisten halten nur ein Drittel der Region. Im Moment sieht es so aus, als würde die russische Regierung mit der vollständigen Anerkennung der beiden Separatistengebiete warten.
- Wie wird die ukrainische Armee auf die russischen Truppen in Donezk und Luhansk reagieren? Wenn die russischen Truppen innerhalb des bereits von den Separatisten gehaltenen Gebiets bleiben, könnten sich die militärischen Auseinandersetzungen in Grenzen halten. Sollten die russischen Truppen jedoch in die nicht besetzten Teile der beiden Regionen vordringen, wäre eine militärische Eskalation wahrscheinlich.
- Welche Sanktionen werden die USA und Europa verhängen? Derzeit sind Sanktionen gegen einzelne Mitglieder der russischen Führung sowie Wirtschafts- und Finanzsanktionen im Gespräch – darunter ein Verbot russischer Hightech-Importe und der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Finanzsystem Swift. Im Falle längerer militärischer Auseinandersetzungen zwischen russischen und ukrainischen Truppen außerhalb des von Separatisten gehaltenen Teils der Donbass-Region sind weitere Sanktionen wahrscheinlich.
Angesichts der Dynamik der Situation gehen wir von drei Szenarien für die Entwicklung in den kommenden vier Wochen aus. Der wahrscheinlichste Fall ist ein relativ moderates Szenario, bei dem die russischen Truppen in den Separatistengebieten bleiben. In diesem Basisszenario würden die USA und Europa begrenzte Sanktionen verhängen, wie z. B. Beschränkungen für russische Staatsbürger. Ein anderes realistisches Szenario ist das der Eskalation. Sollten die russischen Truppen weiter in die nicht von den Separatisten gehaltenen Teile der Donbass-Region vordringen, würde die ukrainische Armee entschlossen antworten. Die USA würden mit weitreichenden Sanktionen reagieren, zum Beispiel mit Wirtschaftssanktionen und möglicherweise dem Ausschluss aus dem Swift-System. Im „Tail-Risk“-Szenario würde Russland in weitere Gebiete eindringen, sogar in die Hauptstadt Kiew. In diesem Extremfall würden die Sanktionen auch den Energiesektor betreffen.
Bislang waren die Marktreaktionen auf den Konflikt moderat und rational. Russische Aktien, bei denen das Sanktionsrisiko eingepreist ist, waren am stärksten betroffen. Russische Credit Default Swaps und der Rubel waren bisher weniger betroffen. Die Marktreaktionen außerhalb der betroffenen Region fielen moderat aus. Die europäischen Aktien tendierten in diesem Jahr aus verschiedenen Gründen schwach (-7,7 %), jedoch geringer im Vergleich zu US-Aktien (-8,7 %). Gleichzeitig ist der Ölpreis aufgrund der starken Nachfrage und der niedrigen Lagerbestände in diesem Jahr stark angestiegen (+26 %). Es ist schwer zu sagen, wie groß die Auswirkungen der Ukraine-Krise sind. Insgesamt haben die Märkte bisher verhalten auf die Krise reagiert.
Solange die russischen Truppen in den Separatistengebieten bleiben, dürften die Marktreaktionen auch weiterhin moderat ausfallen. Sollte sich ein Risikoszenario verwirklichen, würde die erste Reaktion höchstwahrscheinlich in erheblichen Korrekturen bei risikoreichen Anlagen und einer Flucht in sogenannte sichere Häfen bestehen. Die Sektoren Energie und Rohstoffe wären in diesen Szenarien am stärksten betroffen. Eine vorübergehende Eskalation könnte zu einem späteren Zeitpunkt attraktive Einstiegsmöglichkeiten schaffen. Auf der makroökonomischen Seite würde die Eskalation wahrscheinlich zu einem weiteren Inflationsschub und möglicherweise zu einem schwächeren Wachstum in Europa in den kommenden Quartalen führen. Die Zentralbanken stünden dann vor einem noch schwierigeren Spagat zwischen Inflationsbekämpfung und Wirtschaftsförderung.
Dies ist weder der richtige Zeitpunkt für Investoren, weitere Risiken einzugehen, noch in Panik zu verfallen. Der weitere Verlauf dieses Konflikts ist höchst ungewiss und bedarf einer genauen Beobachtung.
Schwellenländeranleihen: größtes Risiko sind russische Angriffe auf das von der Ukraine kontrollierte Donbass-Gebiet
Unserer Meinung nach wäre in diesem Stadium das harmloseste Szenario, wenn die russische Armee nicht über die bereits besetzten Gebiete hinausginge. Die Ukraine könnte beschließen, nicht zurückzuschlagen, und acht Jahre De-facto-Kontrolle durch russische Bevollmächtigte über diese Region würden offiziell werden. Diese Situation würde die Möglichkeit für eine Fortsetzung der Diplomatie schaffen und eine Deeskalation ohne einen tatsächlichen militärischen Konflikt ermöglichen. Die Ukraine könnte weiterhin als unabhängiges Land agieren und eng mit dem Westen zusammenarbeiten. Wir gehen davon aus, dass die Sanktionen der USA und der EU in diesem Szenario moderat ausfallen würden.
Ein pessimistischeres Szenario wäre, dass Russland die Gebietsansprüche der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Luhansk in vollem Umfang anerkennt und die russische Armee in die jetzt von der Ukraine kontrollierten Donbass-Gebiete einmarschiert, woraufhin die Ukraine wahrscheinlich zurückschlagen würde. Der Konflikt könnte sich über den Donbass ausdehnen, und die russische Armee könnte in andere ukrainische Städte einmarschieren. In diesem Szenario würden wir mit schärferen Sanktionen gegen Russland rechnen, was den Druck auf russische Anleihen und die Währung erhöhen würde. Dies könnte möglicherweise eine breitere Risikoaversion auslösen, die sich direkt auf russische und ukrainische Anlagen auswirken und ein Ansteckungsrisiko für andere EM-Assets mit sich bringen würde.
Fixed Income: Flucht in Bunds, Treasuries
Angenommen, der Konflikt beschränkt sich auf die östlichen Provinzen der Ukraine, so ist die offensichtlichste Marktreaktion eine Flucht in sichere Häfen, die zu niedrigeren Renditen für deutsche Bundesanleihen und vielleicht auch für US-Treasuries führt. Dies deckt sich mit dem, was wir in den letzten Tagen beobachtet haben.
Trotz der zusätzlichen Problematik des Inflationsdrucks infolge steigender Energiepreise wird die EZB unserer Meinung nach weniger hawkish als bisher vorgehen. Dies wird niedrigere Renditen begünstigen und zu steileren Renditekurven führen. Bei den Renditeaufschlägen für die Länder der Eurozone wird unserer Ansicht nach die risikoaverse Stimmung an den Märkten vorherrschen. Sollten sich die Spreads jedoch zu schnell und zu stark ausweiten, würden wir mit einem Eingreifen der EZB und einer Unterstützung der schwächeren Länder, höchstwahrscheinlich mit QE-Instrumenten, rechnen.
Wir scheuen uns derzeit vor großen, exponierten Anlagepositionen, da die Unsicherheit groß ist. Wahrscheinlich würden wir auf eine erste Reaktion nach dem Angriff nicht mit einer Positionierung für niedrigere Renditen und breitere Spreads reagieren. Wir würden eher die Chancen niedrigerer Zinsen und breiterer Spreads nutzen, um uns für eine Kehrtwende zu positionieren, da wir nicht glauben, dass dieser Konflikt die aktuelle Wirtschafts- und Marktentwicklung nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen wird.
Europäische Aktien könnten Kursverluste erleiden, später aber wieder ansteigen, sofern es nicht zu einer weiteren Eskalation kommt
Europäische Aktien reagieren in der Regel übermäßig auf geopolitische Spannungen und dürften im Falle eines russischen Einmarsches in der Ukraine deutlich an Wert verlieren. Ein solcher Ausverkauf würde sehr aggressiv und schnell erfolgen. Wenn nichts weiter passiert, würden die Aktienmärkte in Europa und anderswo steigen und die Banken würden aufgrund steigender Zinsen wieder eine Outperformance erzielen.
Die derzeitige Dominanz an den Aktienmärkten wird von zyklischen Sektoren wie Energieaktien, Erstausrüstern und Banken bestimmt. Ein stärkerer Konflikt würde sich längerfristig so sehr auf die Rohstoffpreise auswirken, dass es zu einer Konjunkturabschwächung käme, wodurch sich die Dominanz von „zyklischen Growth-“ auf „säkulare Growth“-Titel verlagern würde.
Die Spannungen werden hauptsächlich über die Rohstoffe ausgetragen, da auf Russland etwa 10 % der weltweiten Ölproduktion und 40 % des europäischen Gases entfallen. Russland ist auch ein wichtiger Akteur bei Stickstoff, Palladium, Nickel und Kali. Rohstoff- und Energieunternehmen werden als sicherer Hafen angesehen und würden von Preissteigerungen profitieren. In unseren wichtigsten europäischen Aktienstrategien haben wir Energie- und in geringerem Maße auch Rohstoffwerte übergewichtet, sodass wir keine größeren Auswirkungen sehen dürften.
Obwohl Russland nur einen sehr begrenzten Anteil an den Assets des europäischen Bankensektors hat, könnte jede Eskalation eine Flucht in deutsche Bundesanleihen und US-Treasuries auslösen. Insgesamt schwächere Märkte würden zu einer deutlichen Underperformance des Bankensektors führen; wir müssten unsere derzeitige Gleich- oder Übergewichtungsposition in Banken überdenken.
(Dolphinvest)