In der Eurozone hat die Neuberechnung des BIP für das erste Quartal 2023 das Wachstum mit -0,1 % in den negativen Bereich abrutschen lassen. Mit einem rückläufigen BIP im zweiten Quartal in Folge macht die Eurozone somit per Definition eine technische Rezession durch, die im Oktober 2022 eingesetzt hat. Das ist gewiss keine starke Verlangsamung, aber es zeichnet sich ein Abwärtstrend in den negativen Bereich ab. Wenngleich diese Änderung des BIP insgesamt fast null beträgt, gibt es starke Abweichungen zwischen den einzelnen Ländern, Sektoren und den Hauptkomponenten des BIP.
Regionale Unterschiede im BIP-Wachstum: Ein Blick auf geografische Trends
Schon auf geografischer Ebene sind die Unterschiede erheblich. Deutschland, die mächtigste Volkswirtschaft der Eurozone, verzeichnet einen Rückgang seines BIP um -0,3 %, während sich Frankreich mit +0,2 % behaupten kann. Das Schlusslicht bildet Irland (-4,6 %), der Ankerpunkt multinationaler außereuropäischer Unternehmen auf dem Kontinent, deren Finanzströme für Schwankungen in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Landes sorgen. Des Weiteren scheinen die während der Staatsschuldenkrise mit der Abkürzung PIGS stigmatisierten Länder Südeuropas nun ihre Revanche zu nehmen: Griechenland liegt gleichauf mit Deutschland, während das Wachstum in Portugal +1,6 %, in Italien +0,6 % und in Spanien +0,5 % beträgt.
Kommen wir nun zu den einzelnen Komponenten. Der Konsum bleibt nach -1,0 % im vierten Quartal 2022 mit -0,3 % weiterhin schwach. Der Außenhandel stützt seit zwei Quartalen das BIP dank eines Rückgangs der Importe, den man auch als weiteres Zeichen der Instabilität deuten kann. In einem nach wie vor inflationären Umfeld ist so schnell nicht mit einer Lockerung der geldpolitischen Daumenschrauben zu rechnen. Die Europäische Zentralbank und auch die Marktteilnehmer gehen davon aus, dass die Zinsen noch bis mindestens zum dritten Quartal weiter steigen werden. Hohe Zinsen stellen eine Belastung für den Konsum, Investitionen und die Staatsverschuldung dar.
BIP-Entwicklung nach Sektoren: Industrie in der Krise, Dienstleistungen und Tourismus im Aufwind
Widmen wir uns abschließend noch den Sektoren. Aufgrund der rückläufigen Nachfrage nach Gütern, der angesichts hoher Lagerbestände verschärften internationalen Konkurrenz und der Verteuerung von Krediten steckt die Industrie in einer Krise. Bei den Dienstleistungen sprechen die Frühindikatoren immer noch für ein Wachstum des Sektors im zweiten Quartal. Zudem scheinen alle mit dem Tourismus verbundenen Branchen auf dem besten Weg zu sein, einen Rekordsommer zu erleben, wenn man die Buchungsquote bei Verkehrsmitteln und im Hotelgewerbe betrachtet. Dieser Trend könnte den Vorsprung der südlichen Länder der Eurozone gegenüber den nördlichen noch vergrößern.
Rezession oder nicht? Diskrepanzen zwischen Europa und den USA
Während man in Europa schon nach zwei Quartalen der Kontraktion des BIP von einer technischen Rezession spricht, gehen die Ansichten auf ökonomischer Ebene auseinander. In den USA erfolgt die Einschätzung nicht so willkürlich, denn hier werden auch das Ausmaß und die Verbreitung des Rückgangs der Wirtschaftstätigkeit berücksichtigt. Deshalb hielt es das National Bureau of Economic Research (NBER), das als Referenz in diesem Bereich gilt, 2022 nicht für angebracht, nach zwei Quartalen negativen Wachstums schon von einer Rezession zu sprechen. Trotz ihres technischen Charakters fällt die makroökonomische Analyse gelegentlich eher in den Bereich der Auslegungssache als in den der Wissenschaft.