Wirtschaft

Türkei vor der Präsidentschaftswahl: Äußerst fragile ökonomische Lage

Gefährlicher Mix aus hoher Inflation, Wertverlust der Lira und Leistungsbilanzdefizit

geralt / Pixabay

Die Türkei befindet sich vor der anstehenden Präsidentschaftswahl in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Lage: Hohe Inflation, ein deutliches Leistungsbilanzdefizit, der stetige Wertverlust der Lira und fragile Staatsfinanzen sind ein gefährlicher Mix, der das latente Risiko einer ökonomischen Zerrüttung und einer Zahlungsbilanzkrise birgt. Die Situation heute erinnert stark an die Zeit der Parlamentswahl 2002 als Erdogan mit seiner AKP erstmals einen überragenden Wahlsieg erzielte. Die erfolgreiche Wirtschaftspolitik damals bildete das Fundament der Macht Erdogans, die er seit nunmehr zwanzig Jahren stetig ausgebaut hat, zuletzt aber nicht mehr zum wirtschaftlichen Wohle des Landes zu nutzen wusste.

Inflation als Folge einer erratischen Geldpolitik

Sinnbild der aktuellen wirtschaftlichen Misere ist die extrem hohe Inflationsrate: Zwar ist diese seit dem Höhepunkt im Oktober 2022 von 86 Prozent auf zuletzt 55 Prozent zurückgegangen: Jedoch war dies im Wesentlichen auf Basiseffekte zurückzuführen. Die zugrundeliegende monatliche Preisdynamik läßt auch langfristig weiterhin eine Inflation von deutlich mehr als 10 Prozent erwarten. Das ist angesichts einer völlig fehlgeleiteten Geldpolitik auch kein Wunder: Während überall auf der Welt Notenbanken versuchen, die Inflation mit einer deutlichen geldpolitischen Straffung zu bekämpfen, folgt die türkische Notenbank seit nunmehr anderthalb Jahren der entgegengesetzten Vorstellung Erdogans, wonach gerade Zinssenkungen das richtige Mittel der Inflationsbekämpfung seien. Der mehrfach deutlich gesenkte Leitzins liegt aktuell bei 8,5 Prozent – für die Eindämmung der hohen Inflation ist dies viel zu niedrig.

Türkische Lira im freien Fall

Unmittelbare Folge dieser unorthodoxen Geldpolitik, deren Sinn sich offensichtlich auch den Finanzmarktakteuren nicht erschließt, ist ein stetiger Wertverlust der türkischen Lira, die handelsgewichtet seit 2019 rund 70 Prozent ihres Wertes verloren hat. Der damit verbundene Anstieg der Importpreise (mehr als 100 Prozent im Jahr 2022) ist seinerseits eine wesentliche Quelle der hohen Inflation. Insgesamt lebt das Land deutlich über seine Verhältnisse, wie vor allem das anhaltend hohe Leistungsbilanzdefizit von zuletzt rund 4 Prozent des BIP in Verbindung mit einem ebenfalls hohen Haushaltsdefizit in ähnlicher Größenordnung zeigt. Die Reichweite der Devisenreserven ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken; aktuell könnten mit den vorhandenen Devisenreserven die Importe lediglich der nächsten zwei Monate bezahlt werden.

Dass ein wirtschaftlicher Kollaps bislang ausgeblieben ist, liegt zum einen an der großen geostrategischen Bedeutung des NATO-Mitgliedes Türkei an der Schnittstelle zwischen Europa und dem Nahen Osten und der äußerst flexiblen Außenpolitik des türkischen Präsidenten, der gerade auch im Konflikt zwischen Russland und der NATO seine Position geschickt einzusetzen weiß. Zum anderen stellt das Land trotz aller Unsicherheiten immer noch einen für global tätige Unternehmen attraktiven Standort dar, wie die weiterhin positiven Direktinvestitionen belegen.

Auf den künftigen Präsidenten wartet viel Arbeit

Dennoch wird der nächste Präsident der Türkei unabhängig davon, ob er wieder Erdogan oder doch Kilicdaroglu heißen wird, die ökonomische Basis des Landes wieder in Ordnung bringen müssen. Das bedeutet vor allem, der Zentralbank deutliche Zinsanhebungen zu erlauben, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Folge dieser geldpolitischen Straffung wäre eine Stabilisierung der Währung, eine Verringerung des Leistungsbilanzdefizits, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine schwere Rezession, aus der die türkische Wirtschaft angesichts ihrer Potenziale anschließend gestärkt hervorgehen könnte. Der künftige Präsident sollte sich in dieser Hinsicht ein Beispiel am jungen Erdogan nehmen, der genau auf diese Weise seine politische Herrschaft begonnen hatte.

(FERI Gruppe)

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