So konnten zuletzt weder die politischen Unsicherheiten in der Eurozone noch der eskalierende Handelskrieg, die stockenden Brexit-Verhandlungen, die Unsicherheiten im Nahen Osten oder die Folgen des Zinsanstiegs in den USA der positiven Grundstimmung etwas anhaben. Man fokussierte sich auf die nach wie vor dynamisch wachsende globale Konjunktur und – in Europa – zudem auf den Beistand der Europäischen Zentralbank (EZB) in Form eines noch bis mindestens Mitte 2019 einzuplanenden Leitzinses von 0 Prozent.
Jetzt könnten aber die wirtschaftlichen Turbulenzen in der Türkei in Verbindung mit Befürchtungen eines Überschwappens der Krise auf andere Schwellenländer und auf europäische Banken das Fass zum Überlaufen bringen. Wie ist die Situation aktuell zu bewerten? Sind größere Turbulenzen an den internationalen Kapitalmärkten zu befürchten?
Zweifellos steckt die türkische Politik in einer massiven Vertrauenskrise und hat die türkische Volkswirtschaft damit in eine dramatische Situation hereinmanövriert. Spätestens die im Frühsommer aufkommenden Zweifel an der Unabhängigkeit der Zentralbank haben internationale Anleger vorsichtig werden lassen. US-Präsident Trump hat mit seinen Zöllen auf Aluminium und Stahl nur den letzten Anstoß für die verstärkte Kapitalflucht gegeben. Am Anfang der Woche wollten dann alle sofort raus aus türkischen Kapitalanlagen – eine klassische Währungskrise mit schon jetzt katastrophalen Folgen für die örtliche Wirtschaft und die Bevölkerung.
Auch wenn sich die Situation an den Börsen zuletzt etwas beruhigt hat, ist die Krise noch immer akut und dürfte die Märkte weiterhin maßgeblich beeinflussen. Die Türkei wird heftig unter der abgewerteten Währung, der hohen Inflation und den drastisch gestiegenen Zinsen leiden. Diese Entwicklung zeichnete sich allerdings bereits seit Anfang 2017 ab. Entsprechend gaben konjunkturelle Frühindikatoren und Umfragen zur Zuversicht unter Unternehmern bereits seit Monaten nach.
In den letzten eineinhalb Jahren stieg die Inflation von ca. 7 auf über 15 Prozent an. In der Folge erhöhte die türkische Notenbank die Leitzinsen am 1. Juni diesen Jahres in einem Schritt von 8 auf 16,5 (!) Prozent. Sowohl Geldmarktzinsen als auch die Renditen türkischer Staatsanleihen hatten den Zinsanstieg inflationsgetrieben indes schon länger vorweggenommen. Die türkische Lira (TRY) wertete seit Januar von 4,5 TRY/EUR auf zeitweise knapp 7,9 TRY/EUR ab. Die akute Angst vor einem möglichen Zahlungsausfall des türkischen Staates ließ die Rendite einer 10-jährigen Staatsanleihe auf über 20 Prozent p.a. hochschnellen.
Aufgrund der Währungsabwertung sind viele türkische Importe derzeit kaum noch erschwinglich. Wenn doch noch importiert wird, dann zu extrem gestiegenen Preisen, wodurch die Inflation noch weiter angeschoben wird. In ausländischer Währung aufgenommene Schulden müssen mit – in türkische Lira umgerechnet – viel höheren Summen zurückgezahlt werden und überfordern einige Schuldner.
Angesichts des Vertrauensschadens und bisher ausbleibender nachhaltig wirkender Beruhigungsmaßnahmen der türkischen Regierung ist kaum davon auszugehen, dass sich Währung und Zinsen schnell erholen werden. Im Gegenteil müsste die türkische Notenbank die Leitzinsen noch einmal deutlich anheben (von aktuell schon 17,25%), um dem Verfall der Währung Einhalt zu gebieten. Das würde die Wirtschaft aber umso härter treffen. Rührt sich die Notenbank nicht, dürften internationale Investoren weiter Kapital aus dem Land ziehen und so die Situation verschärfen – es gibt derzeit keinen angenehmen Weg. Da helfen selbst die von Katar angekündigten Investitionen in Höhe von 15 Mrd. US-Dollar in der Türkei kaum.
Doch auch nicht in der Türkei investierte Anleger erfasst die Negativspirale über mögliche Ansteckungseffekte. Einerseits könnten eine mögliche Zahlungsunfähigkeit türkischer Schuldner und daraus resultierende Bankenpleiten einige europäische Finanzinstitute hart treffen, z.B. über direkt an türkische Unternehmen vergebene Kredite, den Ausfall von Anleihen, Beteiligungen an türkischen Banken oder Währungspositionen. Vor allem spanische, französische und einige italienische Banken haben größere Engagements. Die tatsächlichen Auswirkungen lassen sich heute jedoch noch kaum abschätzen und hängen vom weiteren Verlauf der Krise ab.
Hinzu kommen die Auswirkungen auf andere Schwellenländer, deren Währungen zuletzt schon unter dem Abzug von Kapital aufgrund der gestiegenen USD-Zinsen gelitten hatten. Auch hier hat sich in den letzten Tagen die Stimmungslage noch einmal deutlich verschlechtert. Zwar profitieren vor allem die exportorientierten Staaten von der – noch – dynamischen Weltkonjunktur. Sollten sich aber die internationalen Handelsrestriktionen wie bisher aber von Woche zu Woche weiter ausdehnen, nehmen auch von dieser Seite die Gefahren zu und könnten das Wachstum in den kommenden Quartalen empfindlich stören. Im Falle verstärkter Kapitalabflüsse könnten somit auch andere Staaten in eine Währungskrise hineingezogen werden.
Die Verunsicherung dürfte zumindest kurzfristig kaum abnehmen. Noch besteht zwar Hoffnung, dass sich der ein oder andere Belastungsfaktor auflöst, bevor die Bremswirkungen für die globale Konjunktur Überhand nehmen. Die nächste Runde des Handelskriegs ist aber mit dem Inkrafttreten der gegenseitigen zusätzlichen Zölle Chinas und der USA in Höhe von jeweils 16 Mrd. US-Dollar bereits eingeläutet und wird ab 23. August wirken.
In dieser Gemengelage können panische Reaktionen von Anlegern schnell eine noch größere Lawine lostreten. Daher schadet im Moment eine vorsichtigere Positionierung nicht. Sichere Häfen wie der Schweizer Franken, der US-Dollar und Bundesanleihen dürften vorerst weiter gefragt bleiben.
(Donner & Reuschel)