Wirtschaft

USA und Europa: Kurveninversion und Wirtschaftsgefälle

Von François Rimeu, Senior Strategist, La Française AM

pasja1000 / Pixabay

Die zwei wichtigsten Entwicklungen im Juni waren neben dem anhaltenden Einsatz von künstlicher Intelligenz zweifellos die fortgesetzte Inversion der Zinsstrukturkurven und die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft im Vergleich zu Europa.

Die Zinsstrukturkurven fast aller Industrieländer kehrten sich weiterhin im 2/10-Bereich um (allerdings nicht ausschließlich). In den USA wurde der durch die Bankenkrise im März ausgelöste Abschwung vollständig kompensiert, während in anderen Regionen die Niveaus vor der Silicon Valley Bank (SVB) munter überschritten wurden. Im Monatsverlauf ist Großbritannien zweifellos das auffälligste Beispiel: Zwischen dem 23. Mai und dem 30. Juni ging die 2/10-jährige Zinskurve von +1 Basispunkten auf -90 Basispunkte zurück, d. h. eine Inversion von 91 Basispunkten in etwas mehr als einem Monat! Sogar während der Liz Truss-Phase hatten sich die Kurven nicht derartig verschoben. Diese Veränderungen sind zum einen auf den anhaltend starken Lohndruck (+7,2 % innerhalb eines Jahres in Großbritannien) zurückzuführen, der die Zentralbanken zu einer aggressiven Geldpolitik (und damit zu einer Anhebung der kurzfristigen Zinssätze) zwingt, und zum anderen darauf, dass der Markt mit sehr vorsichtigen Breakeven-Inflationsraten noch immer kein langfristiges Inflationsrisiko sieht.

Die erreichten Niveaus sind beispiellos, und man muss bis in die frühen 1980er Jahre zurückgehen, um vergleichbare Werte zu finden. Historisch gesehen deutet dies auf mittelfristig schwierige Zeiten hin. Allerdings ist zu bedenken, dass die Rezession trotz der getrübten Stimmung, die sich in den meisten Industrieländern in den weichen Daten widerspiegelt, noch nicht eingetreten ist, solange die Kurzfristzinsen steigen.

Die realen Wirtschaftsdaten sind dennoch gut. Oder besser gesagt, sie halten sich in den USA sehr gut, während sich Europa an seine Null-Wachstumsrate klammert. Der Gegensatz zwischen Amerika und Europa war selten so krass.

USA und Europa: Divergierende Wirtschaftsentwicklung

In den USA hat sich der Immobilienmarkt in den letzten sechs Monaten stabilisiert und scheint sich sogar zu erholen. Der starke Anstieg der Hypothekenzinsen hat bisher seine Wirkung verfehlt, was zweifellos auf die Auswirkungen der CHIPS- und IRA-Pläne zurückzuführen ist, bei denen die öffentlichen Investitionen die privaten ablösen. Der Arbeitsmarkt ist so stark wie eh und je, und obwohl es einige Anzeichen einer Verlangsamung gibt, verläuft der Abschwung sehr allmählich. Und solange der Arbeitsmarkt angespannt bleibt, hat die Lohninflation für die Fed (und andere Zentralbanken) oberste Priorität, da sie der Hauptfaktor der Kerninflation ist. Gleichzeitig bricht die Industrieproduktion trotz der alarmierenden ISM- und PMI-Daten nicht zusammen. Der Konsum behauptet sich angesichts der nunmehr positiven Reallohninflation, und das BIP des ersten Quartals wurde deutlich von 1,4 % auf 2 % nach oben korrigiert. Auch das zweite Quartal dürfte eine ähnliche Wachstumsrate aufweisen (siehe Atlanta Fed oder Dallas Fed). Kurzum, aus Sicht der Fed gibt es keinen Grund, die Zinsen nicht weiter anzuheben.

In Europa ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt zwar ähnlich (steigende Lohninflation, angespannter Markt), aber praktisch alle anderen Indikatoren waren in den letzten Monaten enttäuschend. Bei näherer Betrachtung dieser Daten zeigt sich jedoch, dass sie vor allem in Frankreich und Deutschland enttäuschten, in Spanien und Portugal hingegen kaum. Deutschland leidet nach wie vor unter den schleppenden Exporten und dem verschärften Wettbewerb im Automobilsektor, während sich in Frankreich der Dienstleistungssektor abschwächt. Die jüngsten Enttäuschungen ändern jedoch nichts an der Analyse der Wirtschaftslage durch die EZB: Der Arbeitsmarkt ist zu angespannt und die Lohninflation zu hoch, so dass die Zinsen weiter angehoben werden müssen.

Daher wird die Lohninflation sicherlich der bestimmende Faktor für die Zinserhöhungen in der zweiten Jahreshälfte sein. Solange sie hoch bleibt, werden die Kurven wahrscheinlich ihre historische Inversion fortsetzen.

Generell bevorzugen wir weiterhin Anleihen gegenüber Aktien, sowohl aus Bewertungsgründen als auch aufgrund unserer anhaltenden Besorgnis über die Kreditdynamik. Die jüngsten EZB-Umfragen lassen in dieser Hinsicht keine Besserung erkennen.

Juli-/August-Ausblick

Wir befinden uns am Ende des Zinserhöhungszyklus. Noch sind die Verzögerungseffekte nicht absehbar, das Risiko eines finanziellen Zwischenfalls besteht weiterhin und die Auswirkungen auf die Kreditentwicklung sind weiterhin zu spüren. All dies ist nicht gerade förderlich für eine sorglose Risikobereitschaft, insbesondere an den Aktienmärkten, wo wir die Bewertungen angesichts der restriktiven Geldpolitik nach wie vor für überzogen halten. Bei Credit sind wir etwas zuversichtlicher, da die Risikoprämien hier größer sind.

(La Française)

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