Wirtschaft

Von der Pandemie zur Energiekrise – Wirtschaft und Politik im Dauerstress

Die deutsche Wirtschaft steuert durch schwieriges Fahrwasser und durchläuft die höchsten Inflationsraten seit Jahrzehnten

ColiN00B / Pixabay

In ihrem Frühjahrsgutachten revidieren die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihren Ausblick für dieses Jahr deutlich nach unten. Die Erholung von der Corona-Krise wird infolge des Kriegs in der Ukraine gedämpft, behält aber die Oberhand. Die Institute erwarten für 2022 und 2023 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 2,7 bzw. 3,1 Prozent. Bei einer sofortigen Unterbrechung der russischen Gaslieferungen stünden hierzulande in beiden Jahren insgesamt 220 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung im Feuer.

„Der Erholungsprozess der deutschen Wirtschaft verzögert sich abermals. Das Konjunkturbild ist geprägt durch gegenläufige konjunkturelle Strömungen, die allesamt preistreibend wirken“, sagt Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel).

„Der Wegfall der Pandemiebeschränkungen sorgt für konjunkturellen Auftrieb. Dämpfend wirken die Nachwehen der Corona-Krise, weil Lieferketten immer noch unter Stress stehen. Die Schockwellen durch den Krieg in der Ukraine belasten die Konjunktur sowohl angebots- wie nachfrageseitig. Schon die staatlichen Hilfspakete während der Pandemie haben preistreibend gewirkt. Die Verteuerung wichtiger Energierohstoffe nach dem russischen Überfall fachen den Preisauftrieb weiter an.“

Aufgrund der hohen Unsicherheit über die für die deutsche Wirtschaft wichtigen Gaslieferungen aus Russland haben die Institute in ihrem Frühjahrsgutachten zwei Szenarien für die konjunkturelle Entwicklung berechnet. Das eine geht von fortgesetzten Gaslieferungen und keinen weiteren ökonomischen Eskalationen aus (Basisszenario), das andere von einem sofortigen Stopp russischer Gaslieferungen (Alternativszenario).

Im Basisszenario legt das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2022 um 2,7 Prozent zu, im Falle eines Lieferstopps nur um 1,9 Prozent. In ihrem Herbstgutachten waren die Institute noch von einem Zuwachs um 4,8 Prozent ausgegangen. Maßgeblich für die Revision sind neben dem Ukrainekrieg der ungünstige Pandemieverlauf im zurückliegenden Winterhalbjahr. 2023 dürfte das BIP um 3,1 Prozent steigen, im Falle eines Lieferstopps um 2,2 Prozent sinken (Herbstgutachten: plus 1,9 Prozent). Der kumulierte BIP-Verlust beläuft sich im Falle eines Lieferstopps allein in den beiden Jahren 2022 und 2023 auf rund 220 Mrd. Euro, was mehr als 6,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht.

Für das laufende Jahr rechnen die Institute mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent, dem höchsten Wert seit 40 Jahren. Im Falle eines Lieferstopps für russische Energie würden sogar 7,3 Prozent erreicht, der höchste Wert seit Bestehen der Bundesrepublik. Auch im kommenden Jahr dürfte die Rate mit 2,8 Prozent (Lieferstopp: 5,0 Prozent) deutlich über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung liegen.

Die Arbeitslosenquote liegt im Basisszenario in beiden Prognosejahren bei 5,0 Prozent (nach 5,7 Prozent im Vorjahr). Im Fall eines Lieferstopps dürften die Raten 5,2 Prozent (2022) und 6,0 Prozent (2023) betragen. Belastungen für die Konjunktur würden in diesem Fall im Wesentlichen über eine reduzierte Arbeitszeit aufgefangen werden.

Das Defizit der öffentlichen Haushalte verringert sich, weil Pandemiehilfen auslaufen, die Staatseinnahmen im Zuge des Aufschwungs steigen und die Sondervermögen für Klimaschutz und Verteidigung wohl nur in geringem Umfang abfließen. Das Defizit sinkt laut Prognose auf 52,2 Mrd. Euro im laufenden Jahr und auf 27,9 Mrd. Euro im kommenden Jahr. Bei einem Lieferstopp wird 2022 ein Defizit von gut 76 Mrd. Euro (2,0 Prozent in Relation zum BIP) erwartet und für 2023 von etwa 160 Mrd. Euro (4,1 Prozent in Relation zum BIP).

„Bei einem Stopp der Gaslieferungen droht der deutschen Wirtschaft eine scharfe Rezession. Wirtschaftspolitisch käme es dann darauf an, marktfähige Produktionsstrukturen zu stützen, ohne den Strukturwandel aufzuhalten. Dieser wird sich für die gasintensiven Industrien auch ohne Boykott beschleunigen, da die Abhängigkeit von den bislang günstig zu beziehenden russischen Lieferungen so oder so rasch überwunden werden soll“, so Kooths. „Auch die Hilfen für private Haushalte zum Abfedern hoher Energiepreise sollte die Politik nur sehr zielgerichtet dosieren. Werden solche Hilfen auf breiter Front ausgereicht, treibt das zusätzlich die Inflation und torpediert den wichtigen Lenkungseffekt höherer Energiepreise. Das verschärft wiederum die Probleme einkommensschwacher Haushalte und erhöht die gesamtwirtschaftlichen Kosten.“

Die Gemeinschaftsdiagnose wird erarbeitet vom DIW in Berlin, vom ifo Institut in München, vom IfW in Kiel, vom IWH in Halle und vom RWI in Essen.

(ifo)

print

Tags: , , , , , ,

ASCORE Auszeichnung

Es gibt viele gute Tarife – für die Auszeichnung „Tarif des Monats“ gehört mehr dazu. Lesen Sie hier, was die ausgezeichneten Tarife zu bieten haben.

Tarife des Monats im Überblick

ETF-News

ETF-News

Aktuelle News zu börsengehandelten Indexfonds.

zu den News

Guided Content

Guided Content ist ein crossmediales Konzept, welches dem Leser das Vergleichen von Finanzprodukten veranschaulicht und ein fundiertes Hintergrundwissen liefert.

Die Ausgaben im Überblick

ESG Impact Investing

In jeder Ausgabe stellt "Mein Geld" ein UN-Entwicklungsziel und dazu passende Investmentfonds vor.

Un-Entwicklungsziele im Überblick

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Mein Geld Newsletter

Melden Sie sich für unseren 14-tägigen Newsletter an.

zur Newsletteranmeldung

Icon

Mein Geld TV

Das aktuelle Video

-
Welches Geschäftsmodell verfolgt Solvium GmbH?

Solvium finanziert mit den Anlegern Ausrüstungsgegenstände in der Logistik.

zum Video | alle Videos
Icon

Mein Geld Magazin

Die aktuelle Ausgabe

BRANCHENKATALOG 2024

Die Zeitschrift Mein Geld - Anlegermagazin liefert in fünf Ausgaben im Jahr Hintergrundinformationen und Nachrichten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Finanzen.

zur Ausgabe | alle Ausgaben