Wirtschaft

Was ist mit der Inflation in Europa passiert?

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE

Die Inflation in Deutschland im Jahr 2022 ist vor allem auf höhere Kosten für Vorleistungen zurückzuführen / geralt / Pixabay

Seit zwei Jahren klettert die Inflation immer weiter über das von den Währungshütern der Eurozone festgelegte Ziel von 2 % hinaus. Dieses Phänomen, das zunächst fälschlicherweise als vorübergehend betrachtet wurde, ist im Handel allmählich zur Normalität geworden und auch die Wirtschaftsakteure scheinen sich damit arrangiert zu haben. Könnte es der Status quo bleiben? Mit etwas Abstand kann man nun ein Fazit aus den letzten beiden von der Inflation geprägten Jahren ziehen.

Auf der Verliererseite stehen die Verbraucher der Eurozone, deren Kaufkraft ausgehöhlt wurde. 2022 stiegen dort die Preise um +9,2 %, während der Lohnzuwachs nur +5,7 % betrug. Real – das heißt unter Berücksichtigung des Preisanstiegs – sind die Verbraucher also ärmer geworden.

Wo es Verlierer gibt, gibt es auch Gewinner

Davon können wir drei nennen. Zunächst die Länder außerhalb der Eurozone. Die Handelsbilanz des Währungsraums ist 2022 mit -0,7 % vom BIP in den defizitären Bereich gerutscht, während im Vorjahr noch ein Überschuss von +2,3 % verbucht worden war. Eine logische Konsequenz, denn etwa die Hälfte der in der Eurozone verbrauchten Energie kommt aus dem Ausland. Der Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise kam also den Exportländern zugute.

Auch die Regierungen gehören zu den Gewinnern. Sie weisen zwar ein strukturelles Defizit auf – der französische Staat beispielsweise verzeichnet seit fast einem halben Jahrhundert ein chronisches Defizit – doch die Inflationswelle hat ihren Verschuldungsgrad gesenkt. Der Anstieg der Steuereinnahmen, die mehrheitlich an das Preisniveau gebunden sind, hat den Anstieg der Staatsschulden mehr als ausgeglichen, der für die Eurozone im Jahr 2022 auf -3,7 % geschätzt wird. So ist nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds das Verhältnis von Schulden zum BIP 2022 um -2,4 % zurückgegangen. Das veranschaulicht sehr gut, dass die Inflation eher den Interessen der Schuldner als denen der Gläubiger dient.

Unternehmen die größten Gewinner

Die größten Gewinner des Inflationsschubs sind bislang die Unternehmen. Insgesamt ist es ihnen gelungen, ihre Marge auf einem historisch hohen Niveau zu halten, indem sie Preiserhöhungen durchgesetzt haben, die höher waren als der Anstieg ihrer Kosten, vor allem der Lohnkosten. Laut der EZB, die dem einen kurzen Beitrag in ihrem offiziellen Blog widmete, gilt das ganz besonders für energienahe Sektoren oder solche mit hohem Energieverbrauch, sowie für Sektoren, die unter einem anhaltenden Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage leiden. Auch Christine Lagarde machte öffentlich diese Feststellung, als sie am 22. März sagte: „Bisher sind die Reallöhne deutlich gesunken, während die Unternehmen in vielen Sektoren höhere Gewinnmargen erzielen konnten“. Anschließend brachte sie ihre Sorge zum Ausdruck: „Versucht hingegen jede Seite für sich, ihre Verluste zu minimieren, so könnte es dazu kommen, dass höhere Gewinnmargen, Löhne und Preise sich gegenseitig in die Höhe treiben“. Mit anderen Worten, sie befürchtet eine „Gewinn-Preis-Lohn“-Spirale.

Aktionäre profitieren ebenfalls – mittelfristig aber steigt der Druck

Der Geldsegen für die Unternehmen ist auch eine gute Nachricht für die Aktionäre und erklärt die gute Entwicklung der Aktienmärkte seit dem Herbst trotz des sich abschwächenden Wachstums. Doch dieser Zustand ist aus mehreren Gründen mittelfristig nicht haltbar, vor allem, weil er für soziale Spannungen und härtere Lohnverhandlungen sorgt. Die sich abzeichnende Konjunkturschwäche wird letztendlich Druck auf die Absatzmengen ausüben und die Unternehmen werden versuchen, durch Preisanpassungen Marktanteile zu ergattern – dieses Mal allerdings in Form von Preissenkungen. Das Risiko, dass ein Preis-Gewinn-Teufelskreis einsetzt, könnte die EZB im Übrigen dazu veranlassen, ihre restriktive Geldpolitik noch weiter zu verschärfen und damit die Risikoprämien auf Aktien weiter aushöhlen, die sich ohnehin schon auf niedrigem Niveau befinden. Um sich gegen derartige Entwicklungen zu wappnen, sollten Investoren auf Unternehmen setzen, die ihre Preise halten oder gar erhöhen können, ohne beim Absatz Einbußen zu verzeichnen.

(LFDE)

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