Das „Nein“ der Italiener zur Verfassungsreform verunsichert Anleger, die sich ohnehin auf ein politisch turbulentes Jahr in Europa einstellen, weiter. Allerdings hatten die Finanzmärkte schlechte Nachrichten aus Italien bereits eingepreist, und die EZB steht Gewehr bei Fuß.
Das italienische Referendum zur Verfassungsreform am 4. Dezember war der Versuch, ein antiquiertes und dringend überholungsbedürftiges institutionelles System zu modernisieren und den politischen Entscheidungsprozess in Italien zu beschleunigen. Genauso wichtig: Ministerpräsident Matteo Renzi und seine Regierung erhofften sich von dem Referendum Rückhalt für die von ihnen geplante politische Neujustierung.
Das „Nein“ im Referendum ist eine harte Niederlage für Renzi. Sein Versuch, die politischen Entscheidungsprozesse im Land zu beschleunigen und die Macht seiner Mitte-Links-Regierung zu festigen, sind gescheitert.
Auswirkungen auf die Finanzmärkte
Neil Dwane, Global Strategist bei AllianzGI, sagt: „Abgesehen von den schwerwiegenden politischen Folgen für Renzis Partei hatten die Finanzmärkte bereits vieles an Unsicherheit und schlechten Nachrichten eingepreist. Italien hinkt beim Thema Reformen hinterher, die Bankenkrise scheint angesichts der Bail-In-Regeln schwer lösbar und Italien hat die EU-Vorgaben zur Reduktion des Haushaltsdefizits nicht eingehalten.
Mit ihrem „Nein“ haben die italienischen Wähler die Gelegenheit verstreichen lassen, ihr überholungsbedürftiges Zweikammernsystem zu modernisieren, demzufolge Gesetzesentwürfe zwei gleichberechtigte Kammern – Senat und Abgeordnetenhaus – passieren müssen. Der Ausgang des Referendums ist eine schallende Ohrfeige für Renzi und kann auch als Abfuhr für die EU und den Euro gewertet werden – ein weiteres Scheitern einer etablierten Partei und Politik, nach Brexit und Trump. Die Stärke des Rückschlags an den Finanzmärkten wird davon abhängen, in wie weit Investoren der Meinung sind, dass Italien mit einer nahezu permanent stagnierenden Wirtschaft die letzte Chance zur Schaffung eines effizienten Regierungssystems vertan hat. Paradoxerweise reduziert das Referendum allerdings zunächst einmal auch das Risiko, dass eine radikalere, EU-feindliche Partei die Regierungsämter übernimmt,
Die nächste EZB-Sitzung findet am 7.-8. Dezember statt und der Bank dürfte daran gelegen sein, Sorgen zu besänftigen. Die Absage für Renzi und seine Reformpläne dürfte zu einem deutlichen Anstieg der Finanzierungskosten für italienische Schuldner führen. Für sie und die EZB, deren Politik hierdurch unterminiert wird, ist dies eine schlechte Nachricht.
Wenn das „Nein“ ein politisches Erdbeben in Italien auslöst, droht ein Ausverkauf bei italienischen Bankaktien. Im schlimmsten Fall könnte dies Schockwellen durch den europäischen Bankensektor senden und zu einem Wiederaufflammen der Euro-Krise führen – ähnlich der in den Jahren 2010-2011.
In den kommenden Jahren bleibt die Politik für Anlage-Entscheidungen ein Schlüsselfaktor. Italien wird sich auf sich selbst konzentrieren und dürfte als Anschubkraft für die notwendigen Reformen in Europa im Nachgang der Brexit-Entscheidung ausfallen.”
Vorgezogene Neuwahlen im Fokus
Das „Nein“ in Italien reiht sich ein in den politischen Trend, der mit der Brexit-Entscheidung startete und sich mit dem Sieg Donald Trumps in der US-Wahl fortsetzte. Es gibt Italien in einem turbulenten Jahr allerdings auch Zeit, über die eigene Zukunft nachzudenken. Populistischer Nationalismus hat in Europa Aufwind und in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland stehen 2017 wichtige Wahlen an.
Die nächste wichtige Frage ist nun, ob es in Italien zu vorgezogenen Neuwahlen kommt – die Partei von Renzi teilte im Vorfeld mit, dass dies im Fall eines „Neins“ die von ihr bevorzugte Lösung wäre. Dies hätte eine Reihe negativer Implikationen, auf die Investoren achten solten: eine weitere Verzögerung politischer Reformen in Italien und anhaltendes politisches Chaos in einer Zeit wirtschaftlicher Schwäche, nachlassenden Investorenvertrauens und großer Fragen hinsichtlich der Nachhaltigkeit der italienischen Staatsverschuldung.
(Quelle: Kommentar von Neil Dwane, Global Strategist bei Allianz Global Investors)