Die massive Liquiditätszufuhr seitens der großen Notenbanken lässt nach, und so geraten die ungelösten strukturellen Probleme der Weltwirtschaft wieder stärker in den Fokus, vor allem die nach wie vor hohe Verschuldung und das geringe Produktivitätswachstum. „Wir glauben, dass die verschlechterten Stimmungsindikatoren, die aktuell zu sehen sind, genau dies widerspiegeln und deshalb nicht nur eine temporäre Erscheinung sein werden“, sagte Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe, gestern auf dem 31. FERI-Konjunktursymposium in Bad Homburg.
USA zunächst mit Überhitzung, dann mit Abschwung
Ausgangspunkt der kommenden weltwirtschaftlichen Abkühlung werden nach Ansicht der FERIExperten die USA sein: Zwar geben die verabschiedete Steuerreform und höhere Staatsausgaben der US-Wirtschaft aktuell nochmals einen spürbaren fiskalischen Impuls, der im laufenden Jahr zu einem Wachstum von mehr als 2,5 Prozent führen dürfte. Zugleich mehren sich aber die Anzeichen, dass der bereits sehr lange laufende Konjunkturaufschwung in seine letzte Phase eintritt. Spürbar stärker steigende Löhne werden zusammen mit höheren Importpreisen wegen der Dollarschwäche und protektionistischer Maßnahmen die Inflationsrate auf ein Niveau oberhalb von 3 Prozent treiben. Um eine weitergehende Beschleunigung der Inflation zu vermeiden, sieht sich die Fed gezwungen, im kommenden Jahr die Geldpolitik über das bisher kommunizierte Maß hinaus zu straffen. Steigende Zinsen, eine möglicherweise inverse Zinsstrukturkurve, eine zunehmende Eintrübung der Stimmung und die negativen Auswirkungen protektionistischer Maßnahmen bremsen die Dynamik des privaten Verbrauchs und der Investitionen und lösen so ab der zweiten Jahreshälfte einen konjunkturellen Abschwung aus. „Wir rechnen damit, dass das Wachstum der US-Wirtschaft im Jahr 2019 auf weniger als 2 Prozent sinken wird“, führte Angermann aus.
Globaler Handel: Andauernder Streit, aber kein Handelskrieg
Stärkere protektionistische Tendenzen sind schon seit einigen Jahren und unabhängig von Trump zu beobachten. Im Fokus steht derzeit aus US-amerikanischer Sicht der Aufstieg Chinas zu einer politischen und wirtschaftlichen Weltmacht und die daraus resultierende Rivalität zwischen beiden Ländern. Diese Rivalität wird die kommenden Jahre und Jahrzehnte prägen. Eine grundsätzliche und tragfähige Lösung von Handelsstreitigkeiten wird es deshalb auf absehbare Zeit nicht geben. Weil die USA für China der mit Abstand wichtigste Exportmarkt sind, hat die chinesische Führung gegenüber den USA eine vergleichsweise schlechte Verhandlungsposition. China wird grundsätzlich Verhandlungen anstreben, in diesen allerdings auch Zugeständnisse machen müssen, um einen Handelskrieg zu vermeiden. Umgekehrt weist die Wirtschaft der USA in einigen Bereichen eine starke Importabhängigkeit speziell von China auf. Deshalb werden auch die USA eine Eskalation zu einem offenen Handelskrieg vermeiden. Der Welthandel wird in den kommenden Jahren zwar geschwächt, aber nicht grundsätzlich beeinträchtigt. Langfristig behält das Thema Protektionismus allerdings eine hohe Relevanz, die Dynamik der Globalisierung könnte dementsprechend weiter abnehmen.
Deutschland mit Sonderstellung
Konjunkturell besitzt Deutschland innerhalb der Währungsunion eine Sonderstellung, weil der Aufschwung hier bereits lange läuft und das gesamtwirtschaftliche Produktionspotenzial zunehmend ausgelastet ist. Allerdings liegt Deutschland hinsichtlich der Wachstumsdynamik aktuell nicht mehr in der Spitze der europäischen Länder. Die Abschwächung der Konjunktur in den USA und rückläufige Wachstumsraten in China treffen die deutsche Wirtschaft stärker als die anderer europäischer Länder. Anders als in früheren Zyklen wird der negative außenwirtschaftliche Impuls aber durch eine starke Binnennachfrage abgefedert. Im laufenden Aufschwung tragen die Bauwirtschaft, der Einzelhandel und viele Dienstleistungsbranchen wesentlich zur gesamtwirtschaftlichen Expansion bei, und dies kann sich angesichts der positiven Lage auf dem Arbeitsmarkt und steigender Löhne noch eine Weile fortsetzen. Die Dynamik des Wachstums wird im kommenden Jahr auch in Deutschland zurückgehen, ein deutlicher Einbruch der Konjunktur ist aber vorerst nicht zu erwarten.
China als neue technologische Supermacht
Detaillierte Einblicke in die Entwicklung Chinas zur neuen technologischen Supermacht gab Björn Conrad, Geschäftsführer der aus dem Merics-Institut hervorgegangenen Sinolytics GmbH, in einem rege diskutierten Vortrag. „Die digitale Transformation vollzieht sich in China unglaublich schnell. Das liegt zum einen daran, dass chinesische Unternehmen grundsätzlich anwendungsorientiert an Innovationen herangehen, etwa bei der Digitalisierung in der Autoindustrie. Zum anderen nutzt die chinesische Führung die Digitalisierung und Big Data als zentrales Instrument zur Steuerung der Wirtschaft und investiert entsprechend viel Geld in diesen Sektor. Das befeuert die Entwicklung zusätzlich“, sagte Conrad.
Auf dem traditionellen FERI-Konjunktursymposium, das am 24. April zum 31. Mal stattfand, stellen die FERI-Experten gegenüber zahlreichen Vertretern aus verschiedenen Bereichen der deutschen Wirtschaft ihre Analysen und Prognosen zur Entwicklung der Weltwirtschaft vor. Ergänzt wurde das Programm durch einen Gastvortrag von Björn Conrad (Sinolytics GmbH) zur technologischen Entwicklung in China und deren Folgen für die Weltwirtschaft.
(Feri)